Schule als Bühne: Wie fächerübergreifendes Stationentheater im Schulraum gelingen kann
Wie können Theater- und Kunstkurse so zusammenarbeiten, dass beide Fachrichtungen gleichwertig inszeniert werden?
Dieser Frage widmete sich das Projekt einer Hamburger Schule in Kooperation mit dem Thalia Theater anhand eines Themas, das die Schüler*innen stark bewegte: Heimat und Fremde.
Während ein Theaterkurs auf der Grundlage des Biografischen Theaters persönliche Szenen zum Thema Heimat entwickelte, gestaltete ein Kunstkurs parallel Exponate zur Themenkombination Körperwelten und Fremde. Zusammen mit einer Theaterpädagogin und einem Regisseur des Partnertheaters entstand eine Inszenierung im Schulraum, die die Schüler*innen und das Publikum zum vernetzten Denken anregte.
Fächerübergreifende Zusammenarbeit eines Kunst- und eines Theaterkurses mit einer gemeinsamen Inszenierung im Schulraum in Form eines Stationentheaters zu einem vorab festgelegten Thema (hier: Heimat und Fremde )
- gleichwertige Inszenierung von Theater und Kunst
- fächerübergreifende Auseinandersetzung mit gleichen oder verwandten Themen
- Empowerment von Schüler*innen (hier mehrheitlich mit Migrationshintergrund)
Kunst- und Theaterkurse der Oberstufe, begleitet von einer Theater- und einer Kunstlehrerin, einer Theaterpädagogin und einem freien Regisseur
- die Schüler*innen können ihre Körpersprache für die Situations- und Figurendarstellung wirkungsvoll einsetzen
- sie können Choreografien entwickeln und gestalten
- sie können Probenabläufe organisieren und strukturieren
- sie agieren bei der Vor- und Nachbereitung von Aufführungen selbständig
- sie können Elemente der Postdramatik und des performativen Theaters erläutern und anwenden
- die Schüler*innen gestalten – als Gruppe – ihr eigenes biografisches Material zusammen mit ihrem theatertheoretischem Wissen zu einem Gesamtkunstwerk (hier Szenencollage, Stationentheater, postdramatisches Theater)
- die Schüler*innen des Kunst- und Theaterkurses erschließen jeweils eigene Themen mit ihren ästhetischen Mitteln und bringen diese teilweise in gemeinsamen räumlichen Inszenierungen zusammen bzw. ergänzen einander die Schüler*innen erweitern ihren Theaterbegriff
- die Schüler*innen experimentieren mit dem Raum und können Positionen im gesamten Schulraum szenisch bewußt einsetzen
- sie können andere Werke analysieren und für ihr Projekt adaptieren (Rimini-Protokoll, One-minute-sculpture)
- sie können biografische Texte schreiben, Szenencollagen entwerfen und Mitschüler*innen im Spiel anleiten
- sie können Stimme und Sprache mit anderen theatralischen Zeichen postdramatisch verschmelzen
ein Theaterkurs und ein Kunstkurs über die Dauer eines Schuljahrs (in diesem Fall vierstündig)
Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Kursen/Klassen einer Schule mit Regisseur*innen und Theaterpädagog*innen eines Theaters (hier des Thalia Theaters Hamburg)
Wie ist die Idee entstanden?
Immer die Kunst im Blick behalten
Im Rahmen dieses fächerübergreifenden Theaterprojektes stellte sich das Team folgende Fragen:
- Wie inspiriert man Schüler*innen, Geschichten zum Thema Heimat zu erzählen?
- Welche künstlerischen Strategien unterstützen die Szenenentwicklung?
- Welche künstlerischen Impulse fördern die Arbeit im Kunstunterricht?
- Wie gelingt die gemeinsame Inszenierung von Kunst und Theater im Schulgebäude?
Die erste Frage bot die Grundlage für die Arbeit des Theaterkurses …
Wie inspiriert man Schüler*innen, Geschichten zum Thema Heimat zu erzählen?
Über die Entwicklung der Szenencollagen im Theaterkurs
1. Inspiration durch migrantische Lyrik und Impulse aus dem Biografischen Theater
In der Vorbereitung zum Projekt kam die Frage auf, wie man die Schüler*innen dazu inspirieren kann, ihre eigenen Geschichten zu erzählen – authentisch, aber trotzdem nicht „eins zu eins“.
Schnell formte sich die Idee, durch Lyrik und die lyrische Form die emotionale Seite der Schüler*innen anzusprechen und die Arbeiten außerdem schon früh auch inhaltlich in einen Kontext von biografischer Arbeit zu stellen. Zur Inspiration wurden dafür bewusst überwiegend zeitgenössische Autor*innen mit migrantischem Background gewählt.
Um auch den Schüler*innen einen Zugang zum Thema zu ermöglichen, die Lyrik nicht so inspirierend fanden, recherchierte die Theaterlehrerin Lisa Mittenzwei auch Song- und Prosatexte, die sich mit dem Thema Heimat beschäftigen.
Das Lernziel für die Schüler*innen bestand darin, selbst zu Textautor*innen und Regisseur*innen zu werden. Sie sollten ihr eigenes biografisches Material mit dem theoretischen Vorwissen zu Kompositionsmethoden und biografischem Theater und zu postdramatischen Regisseur*innen zusammenbringen.
Ausgangspunkt für die Textrecherche war Simone Eggers Buch „Heimat –Wie wir unseren Sehnsuchtsort immer wieder neu erfinden“.
In diesem Buch geht sie Fragen nach, die sich viele Menschen im Laufe ihres Lebens einmal stellen:
„Ist Heimat ein Ort?“
„Ist es der Ort, an dem wir geboren sind? Oder der Ort, an dem wir gerade leben?“
„Und wann wird das Fremde zur Heimat?“
Das Material zur Unterrichtsreihe Heimat sowie die Lyriksammlung und die Song- und Prosatexte stehen im Downloadbereich unten zur Verfügung. Die Unterrichtsreihe beinhaltet Stundenplanungen, Arbeitsaufträge und Beispiele aus dem Projekt. Eine „Schritt-für-Schritt-Anleitung“ ermöglicht es, die Arbeitsweise sehr genau nachzuvollziehen. Sie wurde verfasst von der Theaterlehrerin Lisa Mittenzwei.
2. Szenenentwicklung
Auf der Grundlage ihrer eigenen biografischen Erfahrungen zum Thema Heimat suchten sich die Schüler*innen einen der lyrischen Texte aus, mit dem sie sich weiter befassen wollten. Der Schwerpunkt der Theaterarbeit lag danach auf dem Entwerfen von Szenencollagen im postdramatischen Stil. Die Schüler*innen waren aufgefordert, eigene biografische Texte zu schreiben, die dann nach dem Zufallsprinzip ohne Angabe des Autors von den Mitschüler*innen gelesen wurden.
In den Texten stellten sie in persönlichen Geschichten einen Bezug zu den eigenen Lebensverhältnissen und ihrer Haltung zum Thema Heimat her. Parallel dazu sammelten sie weiteres biografisches Material in Form von Fotos und Gegenständen. Dieses Material wurde dann mit den Inszenierungsideen für die lyrischen Texte zusammengebracht.
Als Hilfestellung dienten ihnen Fragen zu den vier Bereichen:
- Inhalt der Szene
- Wirkung auf das Publikum
- Einbeziehung des Gedichtes
- Theaterformen und theaterästhetische Mittel
Die Schüler*innen hatten bereits früh tolle Ideen für eigene Szenen:
Drei Schüler*innen mit indischen Wurzeln beschrieben beispielsweise eine Szene, in der sie ihr persönliches Heimatgefühl in Form von Erinnerungen an ihre Großeltern ausdrückten. Es war ihnen wichtig, diese Erinnerungen durch einen besonderen Gegenstand zu erzählen, der für gemeinsame Erlebnisse steht.
3. Impulse aus dem postdramatischen Theater
Die ersten Szenenentwürfe der Schüler*innen waren sehr persönlich. Das nächste Ziel bestand darin,
- die Szenen auch für diejenigen verständlich zu gestalten, die die Schüler*innen nicht persönlich kannten und
- die Schüler*innen dazu zu bringen, schauspielerisch ihre Komfortzone zu verlassen und etwas zu wagen.
Um die Umsetzung der Ideen in szenisches Material zu unterstützen, beschäftigte sich der Kurs mit Beispielen aus dem postdramatischen Theater und schwerpunktmäßig mit sogenannten Alltagsexpert*innen auf der Bühne, aber auch mit der Verfremdung durch theatrale Mittel. Hierzu analysierten die Schüler*innen mit der Lehrerin viele Inszenierungen des Theaterkollektivs Rimini Protokoll.
Um die Ergebnisse dieser Arbeitsphase zusammenzufassen, schrieben die Schüler*innen eine Klausur zu den Inszenierungsideen der Heimat-Szenen.
Eine der größten Schwierigkeiten für die Schüler*innen bestand darin, die selbst geschriebenen Szenen weiter zu abstrahieren und sie von ihrer Textlastigkeit zu befreien. Hier kamen wichtige Impulse vom Kooperationspartner…
Welche künstlerischen Strategien unterstützen die Szenenentwicklung?
Über die Impulse aus dem Thalia Theater
Folgende künstlerische Strategien halfen den Schüler*innen, tiefer in die Szenenarbeit einzusteigen:
1. Der professionelle Blick von außen
Schon früh im Prozess war klar, dass der Theaterkurs mit einem professionellen Regisseur aus dem Thalia Theater zusammenarbeiten würde.
Eine der größten Schwierigkeiten für die Schüler*innen bestand darin, die selbst geschriebenen Szenen weiter zu abstrahieren und sie von ihrer Textlastigkeit zu befreien. Durch den fragenden Blick von außen, den der Regisseur in das Projekt eingebracht hat, wurden die Schüler*innen herausgefordert, ihre Geschichten so zu erzählen, dass sie auch für das Publikum verständlich und ästhetisch ansprechend inszeniert sind. Diese künstlerische Herangehensweise machte es den Schüler*innen leichter, ihre eigenen Geschichten mit einer gewissen Distanz als Material zu betrachten.
2. Erzählen ohne Sprache
Eine Kernfrage in der Szenenentwicklung lautete: Wie bringe ich die Schüler*innen dazu, ihre Geschichten nicht nur zu erzählen, sondern auch zu spielen?
Die Wahl fiel auf das künstlerische Mittel der Sprachreduktion. Als Inspiration diente das Stück „Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten“ von Peter Handke am Thalia Theater, das komplett ohne Sprache auskommt. Im Rahmen einer spielpraktischen Prüfung erhielten die Schüler*innen daraufhin die Aufgabe, ihre Szenen ohne gesprochene Sprache zu spielen. Nur Schrift und Singen waren erlaubt.
Wichtige Regeln für dieses Spielprinzip lauten:
- Körpereinsatz, Mimik und Gestik müssen gut erkennbar sein
- das Variieren mit Tempo, Rhythmus und Körperhaltung macht das Stück lebendig
- Pausen verstärken die Handlung
- der Reiz für das Publikum liegt im Interpretationsspielraum
3. Impulse durch zeitgenössische Theatertexte
Die Schüler*innen zeigten bald Ermüdungserscheinungen bei der Arbeit an den immer gleichen Szenen. Insbesondere Schüler*innen ohne Migrationshintergrund taten sich schwer mit dem Thema Heimat. Zudem fehlte den persönlichen Szenen noch ein gewisser Gegenpol zur fragenden Haltung der Schüler*innen. Diesen lieferten Texte aus dem Stück „Wut“ von Elfriede Jelinek. Der Text eignete sich gut, weil er eine sehr klare emotionale Haltung vermittelt.
Im Rahmen eines Workshops studierte eine Theaterpädagogin mit den Schüler*innen den Text chorisch ein. Daraus entstand die Rahmung für das Stück. Diese neue Herangehensweise an das Thema gab insbesondere den zweifelnden Schüler*innen noch einmal einen neuen Impuls.
4. Die Verortung der Szenen im Schulraum
Für die Entwicklung der Szenen lieferte auch die Verlegung der Inszenierung in das Schulgebäude einen zentralen Impuls. Um die Schüler*innen zu inspirieren, zeigte das Team Videos und Fotos von anderen Raumbespielungen, beispielsweise von SIGNA, und besuchte mit ihnen moderne Inszenierungen im Theater. Ziel war es dabei, den Theaterbegriff der Schüler*innen zu erweitern und sie dafür zu begeistern, ihre Szenen tatsächlich im Schulraum zu inszenieren – und damit wegzugehen von einer „normalen“ Bühnensituation.
Nach einer gemeinsamen Begehung des Schulgebäudes wählten die Schüler*innen einen passenden Ort und inszenierten dort ihre Szenen – von der Schultreppe bis hin zur Umkleidekabine. Das gab dem Geschehen etwas sehr Privates und machte die Zuschauer*innen zu zufälligen Mithörer*innen. Auch das Spielprinzip des Nicht-Sprechens wurde wieder aufgelöst, sodass die Schüler*innen wieder mehr Möglichkeiten hatten, ihre Inhalte zu transportieren.
Welche künstlerischen Impulse fördern die Arbeit im Kunstunterricht?
Über das Arbeiten mit Gegenpolen im Kurs „Bildende Kunst“
Die Schritte von der ersten Idee bis zur Inszenierung
Parallel zum Theaterkurs wurde im Kunstunterricht sehr eigenständig am Thema Fremde gearbeitet. Die Exponate kamen erst im letzten Drittel des Projekts mit den Szenen der Theaterschüler*innen zum Thema Heimat zusammen. Dabei ist die Kunstlehrerin wie folgt vorgegangen:
Schritt 1: Entscheidung für eine eigene Thematik, die den Rahmenlehrplan berücksichtigt
Schritt 2: Auswahl der Künstler*innen
Schritt 3: Annäherung an das Thema Fremde/Fremdheit gemeinsam mit den Schüler*innen
Schritt 5: Vorstellung des Werkes von Rebecca Horn und Erwin Wurm zur Inspiration
Schritt 4: Entwicklung von ersten Entwürfen für die Exponate
Schritt 5: Bauen der Exponate
Schritt 6: Verortung der Exponate im Schulraum
Schritt 7: Inszenierung der Exponate an den spezifischen Orten
Welcher Arbeitsansatz wurde im Kunstkurs verfolgt?
Zu Beginn des Projektes gab es zwei Kernfragen, die der Kunstlehrerin in der Konzeption besonders wichtig waren:
- Wie gelingt es, Kunst und Theater gleichwertig zu inszenieren?
- Wie gelingt eine Verbindung zu einem Rahmenlehrplanthema wie Körperwelten?
Gegenpolig arbeiten: Um die Eigenständigkeit der Kunst gegenüber dem Theater zu stärken, fiel die Entscheidung, gegenpolig zu arbeiten: Statt mit dem Thema Heimat setzten sich die Kunstschüler*innen mit Fremde/Verfremdung auseinander.
Inspiration durch Werke von Rebecca Horn und Erwin Wurm: Da das Thema Körperwelten im Mittelpunkt des Unterrichts stehen sollte, ließ sich der Kurs von zwei Künstler*innen inspirieren, die in ihren Werken den Körper als Material benutzen, um Grenzen und Perspektivwechsel erfahrbar machen. Die Wahl fiel auf die One Minute Sculptures von Erwin Wurm und die Body-Extensions von Rebecca Horn.
Wie sah der Prozess im Kunstunterricht aus?
Der Kurs startete mit einem gemeinsamen Brainstorming der Lehrerin und Schüler*innen zur Frage: Was bedeutet Fremdsein und wie lässt sich das Thema künstlerisch umsetzen?
Darauf folgte die Vorstellung der Werke von Erwin Wurm und Rebecca Horn und eine gemeinsame Diskussion von Zusammenhängen zwischen dem Thema Fremde und den Exponaten.
Angelehnt an die beiden Künstler*innen, die bekannt für akkurate Zeichnungen und eine ausgereifte technische Umsetzung ihrer Exponate sind, lag der technische Schwerpunkt des Unterrichts für das Semester auf Zeichnung und Objektbau.
Nach dem Vorbild von Rebecca Horn bauten die Schüler*innen überdimensionale Körperverlängerungen, die in Form von Masken oder verlängerten Fingern den Körper komplett veränderten. Sie inszenierten ihren eigenen Körper und wurden selber zu Figuren, die sie dann im Schulhaus verorteten.
Die Schüler*innen griffen auch die Idee der One-Minute-Sculptures auf und entwickelten eigene Skulpturen. Dazu erstellten sie Instruktionszeichnungen und richteten einen Raum ein, in dem die Zuschauer*innen aufgefordert waren, ihre ursprüngliche Rolle zu verlassen und selber zur Skulptur zu werden.
Wie gelingt die Inszenierung von Kunst und Theater im Schulgebäude?
Wie man einen gemeinsamen Rahmen für die Inszenierung schafft
Über das Zusammenbringen von Kunst und Theater
Das Zusammenbringen der Skulpturen mit den Theaterszenen wurde dennoch zur Herausforderung. Die entstandenen One-Minute-Sculptures ließen sich nicht so gut direkt in die Theaterszenen integrieren.
Daher fiel der Entschluss, ihnen einen eigenen Ausstellungsraum zu geben und sie zu einer eigenen Station im Stück zu machen.
Die dazugehörigen Gegenstände und die Instruktionszeichnungen wurden auf Säulen drapiert und die Zuschauer*innen erhielten die Aufgabe, die Skulpturen auf Podesten auszuführen.
Die Body-Extensions wiederum ließen sich sehr gut mit den Theaterszenen zusammenbringen. Die Kunstschüler*innen gestalteten die Übergänge zwischen den Szenen und brachten durch ihre Performance ein befremdliches Gefühl in die Inszenierung.
In einer Szene wurden die Body-Extensions jedoch auch direkt in die Szene eingebunden. Eine Schülerin baute Verlängerungen für die Arme, mit denen sie die Angst eines Reisenden, sein Ziel nicht zu finden, unterstrich.
Die besondere Rolle der Guides
Die Entscheidung für das Stationentheater in dem eher unübersichtlichen Schulgebäude brachte die Frage mit sich, wer das Publikum durch das Gebäude führen könnte.
Da alle Theaterschüler*innen bereits in den Szenen verplant waren, bekamen die Kunstschüler*innen den Auftrag, sich auf der Grundlage ihrer Auseinandersetzung mit dem Thema Fremde Figuren und Texte zu überlegen. Die Führung durch das Gebäude wurde zum Bindeglied zwischen den Szenen.
Das Publikum wurde in Gruppen von sieben bis zehn Personen aufgeteilt und von sogenannten „Guides“ durch das Schulhaus zu den letztendlich sechs Stationen geführt. Jede Gruppe fing ihre Reise an einer anderen Station an, sodass die Schauspieler*innen die gleiche Szene sechsmal spielten.
Wie sahen die gemeinsamen Proben zur Inszenierung aus?
Da die Kurse nicht auf einer Unterrichtsschiene lagen, konnten sich die Schüler*innen nicht regelmäßig begegnen. Erst bei einem gemeinsamen Projekttag im letzten Drittel des Projektes bekamen die Schüler*innen einen Einblick in die Arbeit des anderen Kurses.
Um die Inhalte am Ende zusammenzubringen, wurden drei Intensivprobentage für alle Beteiligten festgelegt. Die Schüler*innen wurden dafür vom Unterricht befreit, mussten aber nachmittags und abends in der Schule proben, da die Szenen im Schulraum spielten und dieser bis mittags voll belegt war. Eine frühzeitige Beantragung der Probentage bei der Schulleitung und die Rückendeckung durch diese erwiesen sich dabei als wesentlich für das Gelingen, da nicht alle Kolleg*innen den Unterrichtsausfall für die Probentage unterstützten.
Doch nur so konnten das intensive Zusammenspiel zwischen den Fächern überhaupt erst entstehen.
Erfahrungswerte der Umsetzung
Folgende Punkte erwiesen sich bei der Umsetzung des Stationentheaters als besonders wichtig und herausfordernd:
- die Inszenierung des gemeinsamen Anfangs und Endes
- die Verortung der Szenen und der Kunstobjekte in unterschiedlichen Räumen
- die Parallelität der Handlung und die Länge der Szenen (Tipp: die Länge der einzelnen Szenen vorab stoppen und sie aneinander angleichen, damit keine Wartezeiten für die Zuschauer*innen entstehen)
- die Gestaltung der Wege durch das Schulhaus
- die Führung des Publikums durch Guides und die Ausbildung der Guides (denn sie benötigten einen Text, ein Kostüm und eine Haltung für ihre Aufgabe)
- die Lichtverhältnisse im Schulgebäude und die Beleuchtung der Stationen (denn die Schule verfügte nicht über tragbares Licht und das Schullicht eignete sich nicht, um die verschiedenen Stimmungen zu transportieren. Freundlicherweise half das Thalia Theater mit Schweinwerfern aus.)
- die Geräusche im Schulraum
- und der spontane Umgang mit Zufällen
Gemeinsam starten
Im zweiten Jahr der Partnerschaft mit dem Thalia Theater entwickelte das Team der Lessing Stadtteilschule – aufbauend auf den Erfahrungen aus dem Fremde-Heimat-Projekt – ein neues interdisziplinäres Projekt zum aktuellen Thalia-Spielzeitthema Demokratie. In „Aufbruch der Demokratie“ kooperierten die Fächer Theater, Gesellschaft, Musik und Bildende Kunst.
Als übertragbar erwiesen sich vor allem …
- das Stationentheater im Schulgebäude, als Format in dem sich unterschiedliche Inhalte und Ästhetiken gut zusammen präsentieren lassen,
- die Zusammenarbeit mit einem Künstler oder einer Künstlerin, um am Ende ein großes Ganzes präsentieren zu können,
- die Prozessbegleitung mit regelmäßigen Treffen und einem klaren Blick von außen,
- und das Arbeiten mit Gegenpolen als Strategie, um die Inhalte spannend inszenieren zu können.
Was man beim Aufbau eines fächerübergreifenden Projektes beachten sollte:
Im Folgenden sind die Erfahrungen aus dem Projekt „Fremde Heimat“ zusammengefasst. Diese Liste sowie der Film im Downloadbereich unten bildeten die Grundlage für die Konzeption des Projektes „Aufbruch der Demokratie“.
Damit die Fächer gleichwertig ins Arbeiten kommen, ist es wichtig gemeinsam zu starten und Ideen zu entwickeln.
Es hat sich als sinnvoll und inspirierend herausgestellt, in unterschiedlichen Fächer verschiedene Aspekte einer Thematik zu bearbeiten (Fremde/Heimat). Dadurch wird ein Spannungsfeld in der Arbeit erzeugt. Wenn Schüler*innen in nicht-theatralen Fächern eigene Inhalte erarbeiten, ist es besonders wichtig, die Inszenierung dieser mitzudenken und – wenn nötig – professionell zu unterstützen.
Impulse durch Workshops mit Künstler*innen und Besuche von inhaltlich passenden Inszenierungen inspirieren die Schüler*innen und fördern das künstlerische Arbeiten.
Um die Belastung der Lehrer*innen und Schüler*innen möglichst gering zu halten, ist es sinnvoll, die Projektarbeit in reguläre Unterrichtsstrukturen einzubauen und Inhalte aus dem Lehrplan sowie zentrale Prüfungen bei der Konzeption mitzudenken.
Im Projekt Heimat hat sich gezeigt, wie wichtig es ist, mindestens eine Person zu haben, die am Ende die verschiedenen Arbeiten zusammensetzt und inszeniert. Diese Person sollte möglichst frühzeitig in den Entstehungsprozess eingebunden werden.
Da der Koordinierungsaufwand in interdisziplinären Projekten sehr hoch ist, empfehlen sich regelmäßige Projekttreffen mit allen Beteiligten. Die Lehrer*innen sollten mit Entlastungsstunden ausgestattet sein, die Theaterschaffenden sollten für die Zeit entlohnt werden. Außerdem ist eine Klärung der Verantwortlichkeiten sehr wichtig, um Missverständnisse und unnötige Konflikte zu vermeiden. (Siehe hierzu auch das Dokument „Fächerübergreifende Projekte gut aufsetzen und begleiten“ im Downloadmaterial)
Interdisziplinäre Projekte sind oft sehr aufwändig in der Struktur und zeitlichen Durchführung. Deshalb ist es besonders wichtig, zentrale Termine wie Probentage frühzeitig mit der Schulleitung abzusprechen.
Die Schüler*innen meldeten am Ende zurück, dass sie gerne frühzeitiger einen Einblick in die anderen Kurse gehabt hätten, um sich auch gegenseitig inspirieren zu können. Hierfür sollten die Kurse im besten Fall auf einer gemeinsamen Zeitschiene liegen. Wenn das nicht möglich ist, sollten zu Beginn des Projektes gemeinsame Zwischenpräsentationen der Inhalte oder Werkstattbesuche eingeplant werden. Auch ein gemeinsamer Probentag kann eine solche Begegnung ermöglichen.
Wichtig ist auch eine klare Zeitabsprache zwischen den Fächern zu Meilensteinen und der Fertigstellung einzelner Schritte, damit am Ende genug Zeit für die gemeinsame Entwicklung der Inszenierung bleibt.
Im Rahmen eines Stationentheaters sind Einzelproben sehr sinnvoll, damit man tiefer in einer Gruppe einsteigen kann und lange Wartezeiten für die Schüler*innen vermeidet. Außerdem entsteht so eine höhere Verbindlichkeit zur Teilnahme. Hier werden Strukturen des Theaters in die Schulstrukturen übernommen.
Da es oft schwierig ist, Inhalte im laufenden Unterricht zu verzahnen, ist es besonders wichtig, gemeinsame Zeit mit allen Beteiligten für die Inszenierung am Ende des Projektes einzuplanen. Das intensive Zusammenspiel zwischen den Fächern entsteht oft erst während dieser gemeinsamen Probentage. Wir empfehlen daher drei feste Probentage am Ende des Projektes sowie eventuell einen Probentag zur Präsentation der Zwischenergebnisse.
Was man bei der Begleitung eines fächerübergreifenden Projektes beachten sollte
Fächerübergreifendes Arbeiten fordert das System Schule in besonderer Weise in der Organisationstruktur heraus. Noch komplizierter wird es, wenn das Projekt auch jahrgangsübergreifend angelegt ist. Nicht nur die Kurse liegen dann meistens auf verschiedenen Unterrichtsschienen sondern auch die Lehrer*innen sind entweder in Jahrgangsteams oder in Fachkonferenzen organisiert, so dass es eigentlich keine gemeinsamen Besprechungszeiten gibt. Wenn also ein fächerübergreifendes Projekt funktionieren soll, müssen die passenden Strukturen oft erst geschaffen werden.
Damit die Zusammenarbeit funktioniert, müssen die Prozesse gut ineinander verzahnt und organisiert sein und regelmäßig reflektiert werden. Oft kommt es zu Unstimmigkeiten zwischen den verschiedenen Fachkolleg*innen, da die Fächer nach unterschiedlichen Logiken und Geschwindigkeiten agieren. Dadurch hakt es auch in den Abstimmungsprozessen.
Wer macht das? In den beiden hier beschriebenen Projekten gab es deshalb eine externe Prozessbegleiterin, die von außen auf den Prozess geschaut und die Treffen moderiert hat. Ein Projektteam aus Vertreter*innen der Schule und des Theaters kann die Zeiten für die gemeinsame Planung und Reflexion aber auch selbständig einplanen und umsetzen. Wichtig ist, dass die Verantwortlichkeit dafür klar ist und die Termine bereits zu Beginn des Projektes festgelegt werden.
Es gibt zwei Gelingensbedingungen, auf die Sie auf jeden Fall achten sollten: Starten Sie mit allen gemeinsam in das Projekt und sprechen Sie in Ihren Treffen immer auch über Inhalte und nicht nur über organisatorische Fragen!
Eine Dokumentation der einzelnen Schritte der Prozessbegleitung steht inklusive beispielhafter Moderationen im Downloadbereich unten zur Verfügung.
Downloadmaterial
Das Downloadmaterial kann Sie dabei unterstützen, Ihre eigenen fächerübergreifenden Projekte umzusetzen.
Die zwei Filme dienen als Anschauungsmaterial. Sie lassen sich auch gut im Kollegium zeigen, um zu verdeutlichen, was Sie vorhaben. Auch für Schüler*innen oder Eltern bieten sie oft einen guten Einstieg, da das Stationentheater kein gängiges Schulformat ist.
Das Material zur Unterrichtsreihe zum Thema Heimat ist sehr detailliert, kann aber auch als Anregung gelesen werden, wie ein offenes Thema Schritt für Schritt mit den Schüler*innen erarbeitet wird. Außerdem enthält das Dokument viele Theaterübungen und einige gute Beispiele für Postdramatisches Theater und Theater im öffentlichen Raum.
In den Materialien zu Empfehlungen, den Schritten der Prozessbegleitung und dem Phasenplan wurde versucht, die Erfahrungen auf neue Situationen übertragbar zu machen. Hier geht es auch um Formen der Zusammenarbeit sowie eine zeitliche Verortung der wichtigen organisatorischen und inhaltlichen Prozessschritte.
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