Arbeiten im sozialen Kontext – Schule und Orchester bewegen den Stadtteil
Kulturelle Bildung kann und soll nicht nur innerhalb der Schule stattfinden. Eine große Chance und Herausforderung liegt darin, das familiäre und soziale Umfeld der Schüler*innen mit einzubinden. Das gelingt dem Zukunftslabor Bremen mit dem Format der Stadtteil-Oper.
Die Förderung individueller Potenziale der Schüler*innen, um dadurch langfristig gesellschaftliche Entwicklung anzustoßen – das ist das Ziel des Zukunftslabors. Das Kunstlabor Musik gibt Anstoß, diesen komplexen und tiefgreifenden Ansatz so aufzubereiten, dass andere Schulen mit kleinen, übersichtlichen Schritten an diese Herausforderung herangeführt werden. So fügen sich die Kapitel Partnerschaften wagen – Grundlagen, Klassenmusizieren und Individuelle Potenziale fördern letztendlich innerhalb der Stadtteil-Oper zu einem größeren Bild zusammen, bei dem ganz bewusst über die Schule hinausgedacht wird.
In dem gemeinsamen Großprojekt Stadtteil-Oper bringen sich Bewohner*innen und Einrichtungen aus dem Stadtteil auf vielfältige Weise ein; ein professionelles Produktionsteam verwandelt die vorhandenen Interessen und Stärken in künstlerisch und sozial wertvolle Stücke.
- hervorragend als Schulprojekt geeignet (mehrere Schulklassen bis hin zur ganzen Schule)
- Einrichtungen aus der Nachbarschaft / dem Umland
- Fachlehrkräfte und bei Bedarf externe Musikpädagog*innen
- Musiker*innen (Orchester oder kleines Ensemble) und je nach Bedarf weitere Künstler*innen für Regie, Schauspiel, Kostüm, …
- externe Fachkräfte für Bereiche wie Bühnenbau und -Technik
die Stadtteil-Oper – Entwicklung, Erarbeitung und Aufführung eines partizipativen Musiktheaterstücks mit Schüler*innen und Profi-Musiker*innen und unter Einbeziehung des sozialen Umfelds der Schule
- die Erfolge und Wirkungsweisen der Partnerschaft zwischen Schule und Profi-Musiker*innen durch ein gemeinsames Großprojekt skalieren (Anzahl der Beteiligten steigern, Erlebnisgrad und Entwicklungspotenzial der beteiligten Schüler*innen maximieren) und in das soziale Umfeld hineintragen
- die Schule öffnen und vernetzen
- fächerübergreifendes Arbeiten fördern und ein komplexes Thema künstlerisch erarbeiten
- Zusammenhalt und Identifikation innerhalb der Schule steigern
- die Schüler*innen können durch Partizipation am gesamten Prozess der Entstehung einer Stadtteiloper das Zusammenwirken von Musik, Szene, Choreografie, Bühnengestaltung und Effekten erkennen und selber kreieren
- sie können Fachtermini korrekt einsetzen
- sie entwickeln ihre kommunikativen/organisatorischen Kompetenzen in der Zusammenarbeit mit Bewohner*innen und Institutionen des Stadtteils
- besonders sozial benachteiligte Schüler*innen erleben eine Stadtteilopernproduktion (oft erstmals im Leben) als Anerkennung ihrer Person und Leistung
- der Schritt aus der Schule in den Sozialraum Stadtteil fördert die Identifikation der Schüler*innen mit der eigenen Institution und dem Umfeld
- auf der Bühne sind alle gleich – den Schüler*innen tut es gut zu sehen, dass auch die Lehrer*innen Lampenfieber haben (und dass sie es vor ihren Schülern*innen zulassen)
- die Schüler*innen können die teilweise miterarbeiteten Handlungsvorlagen erzählend, singend, musizierend wiedergeben
- sie können die Musik in andere Ausdrucksformen wie Pantomime oder bildnerische Gestaltung (z.B. Bühnenbild, Kostüme) übertragen
- sie können im Rollenspiel agieren
- sie nehmen verschiedene Perspektiven ein und gehen Probleme im Produktionsprozess lösungsorientiert an
- Planungs- und Probenprozess circa 1,5 Jahre; mindestens ein Schuljahr
- davon kontinuierliche Arbeit im Unterricht über mindestens 6 Monate und gegebenenfalls in AGs, Vereinen etc.
- Projekt- und Probenarbeit an mindestens 5 Projekttagen und in einer Intensiv-Probenphase vor der Aufführung (1 Projekttag pro Monat, im letzten Monat Aufführungen)
- Vorbereitung, Koordination und Nachbereitung in einem Leitungsteam mit Künstler*innen und Pädagog*innen
- Probenarbeit und Vorbereitung in den Schul-Räumlichkeiten
- Intensivproben und Aufführung in einem Saal oder Örtlichkeit mit ausreichender Publikumskapazität; abhängig vom Projektumfang beispielsweise auf einer öffentlichen Bühne, Open-Air oder einer selbst errichteten Bühnenkonstruktion an einem zentralen Ort in der Nachbarschaft
- idealerweise aufbauend auf einer längerfristigen Partnerschaft zwischen Schule und Profi-Musiker*innen; hinzu kommen je nach Inszenierung und Budget externe Fachkräfte und Künstler*innen
- zudem Zusammenarbeit mit Einrichtungen aus der Nachbarschaft oder dem Umland (Vereine, Initiativen, Betriebe und Einzelhandel, Polizei, Gesundheitswesen, …)
- wichtig: eine ausgesprochen enge und gute Kooperation aller internen Kolleg*innen und der Schulleitung
Die Stadtteil-Opern von 2009–2017 im Überblick
Vertiefende Einblicke in die Stadtteil-Oper des Zukunftslabors in Bremen ...
… zeigt, welch große Strahlkraft ein Stadtteil-Projekt haben kann und mit welcher Freude Schüler*innen und Profis an einer gemeinsamen Sache arbeiten können.
Hier geht’s zum Film auf YouTube!
… bietet Einblicke in die Proben- und Produktionsprozesse der letzten beiden Stadtteil-Opern, teilweise von Schüler*innen selbst dokumentiert. Insbesondere während einer Stadtteil-Opern-Probenphase gibt es hier regelmäßig aktuelle Neuigkeiten.
Hier geht’s zum Blog!
Warum eine Stadtteil-Oper in einem solch großen Format?
Die Größe einer Stadtteil-Oper spiegelt ihre Bedeutung und die Wertschätzung für ihre Akteur*innen wider. Sie kann deswegen niemals „groß genug“ sein. Das bedeutet aber in keinem Fall nur Quantität, hier steckt mehr dahinter:
Die Musiker*innen der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen sind überzeugt, dass Musik gesellschaftliche Veränderungsprozesse reflektieren und praktizieren kann. Die Stadtteil-Oper führt alle kleineren Formate zusammen und macht die kontinuierliche Arbeit im Kleinen über die Schule hinaus sichtbar. Wenn sich so viele Akteur*innen über ein Jahr hin zusammentun, um gemeinsam etwas auf die Bühne zu bringen, steht außer Frage: ihre Arbeit soll die bestmöglichen Bedingungen, sowie die optimale Unterstützung und Realisierung erfahren. Für die Menschen im Stadtteil soll ihre Stadtteil-Oper Symbolwirkung entfalten – und das geht nur, wenn sie groß gedacht wird. Dann kann eine Stadtteil-Oper über die Jahre hinweg etwas zur Identität eines Stadtteils, einer kleinen Stadt oder einem kleinen Dorf beitragen.
Inzwischen macht das Projekt Schule in ganz Deutschland und der Welt – immer auf etwas andere Weise, aber doch mit dem Grundgedanken der gesellschaftlichen Veränderung.
Größe ist immer relativ!
Eine Stadtteil-Oper kann durchaus „klein“ beginnen, aber dennoch „groß“ gedacht sein: viel wichtiger als eine glamouröse Aufführung ist die begleitende, langfristige Partnerarbeit.
Wie groß die Aufführung letztendlich wird, hängt von der jeweiligen Schule, dem musikalischen Partner und dem Stadtteil ab. Die Dimension allein (Schüler*innenzahlen, Besucher*innenzahlen, Ort, Budget…) ist kein Qualitätsmerkmal für die soziale Wirksamkeit des Projekts. Wichtig ist vor allem der Schritt aus der Schule heraus und die Kontaktaufnahme mit Menschen und Einrichtungen aus dem Umfeld. Durch die Gewinnung neuer Partner*innen wächst zwar möglicherweise der organisatorische und finanzielle Aufwand, doch es ergeben sich oft auch erfreuliche Synergien oder Verbindungen, durch die sich Kosten einsparen lassen.
Mittlerweile wurden an verschiedenen Orten Musiktheaterprojekte ins Leben gerufen, die sich am Bremer Zukunftslabor orientieren. Sie zeigen, wie Stadtteil-Opern auf unterschiedliche Art und Weise realisiert werden können. Der jeweils ganz eigene soziale Kontext bestimmt dann, welche Partnerschaften sich zur Durchführung eignen, welche Aufführungsorte, welche Bühnen-Dimensionen und welcher Grad an Professionalisierung der künstlerischen Produktion realistisch und zielführend sind.
Mehr zu den sehr unterschiedlich umgesetzten Ideen, die von der Stadtteil-Oper inspiriert sind, findet sich unten in Kapitel 3 (Übertragbarkeit).
Partizipation als Prinzip in der Musikvermittlung
In Bremen wird die Stadtteil-Oper als Partizipatives Musiktheater verstanden. Dieses Konzept sieht die aktive Beteiligung und Mitgestaltung des Stücks und der Inszenierung durch die nicht-professionellen Teilnehmenden – häufig Kinder und Jugendliche – vor (siehe auch Begriffsklärung im 2. Kapitel unter „Gemeinsame Stückentwicklung – oder Standard-Repertoire?“).
Es geht also nicht nur um deren Einbindung in eine Musiktheaterproduktion, sondern um die tatsächliche Freilegung von Gestaltungsräumen für die Mitwirkenden innerhalb der Stückentwicklung und des Probenprozesses bis hin zur Aufführung. Das Stück entsteht im Idealfall gemeinsam mit den verschiedenen Gruppen von Beteiligten und berücksichtigt deren Ideen, Interessen und Fähigkeiten. So können sich die Schüler*innen und andere Mitwirkende im Hinblick auf ihre Persönlichkeitsentwicklung sinnvoller und wirksamer einbringen, weitaus tiefgehendere Erfahrungen machen und sich mit dem künstlerischen Prozess und dem Ergebnis identifizieren.
Wie bei Partizipation als gesellschaftliches Prinzip im Allgemeinen, gibt es auch beim Partizipativen Musiktheater verschiedene Stufen der Beteiligung. Von von rein „dekorativer“ Einbeziehung von Kindern ohne Mitbestimmungsmöglichkeiten über Teilnahme und Teilhabe („mit dabei sein“, sporadisch eigenes Engagement zeigen können oder dürfen) über Mitwirkung an und Mitbestimmung bei bestimmten Aspekten des Gesamtprozesses bis hin zur extremen Form der Selbstverwaltung, sind also viele Varianten denkbar, Kinder und Jugendliche in einen künstlerischen Prozess einzubeziehen (hier nach Kreuziger (2011), siehe auch www.kinder-beteiligen.de).
Welche Formen in der jeweiligen Musiktheaterproduktion möglich und sinnvoll sind, hängt von vielen Faktoren ab, wie im Folgenden in unterschiedlichen Gesichtspunkten deutlich wird.
Hier zum Download eine profundere Darlegung der theoretischen Hintergründe des Partizipativen Musiktheaters.
Der Aufwand lohnt sich
Du hast immer eine Wahl!
Dieses Motto der Stadtteil-Opern ist Programm: wenn sich eine Person oder eine Gruppe zur Teilnahme entscheidet, gehen damit Chancen und Verantwortung einher. Hier liegt eine starke Parallele zur Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, denn auch die Musiker*innen stehen als Gesellschafter*innen in Verantwortung für alle künstlerischen und wirtschaftlichen Belange.
Ein partizipatives Projekt wie dieses bietet die Möglichkeit, Schüler*innen alleine oder im Klassenverband über ihre eigene Beteiligung entscheiden zu lassen und ihnen damit die Verantwortung dafür zu geben, ihre Vorhaben erfolgreich zu Ende zu führen. Dieser Prozess muss von einer Lehrperson begleitet und auch gelenkt werden. Alle Mitwirkenden sollen möglichst viel Raum für Mitgestaltung haben – aber natürlich in einem für sie gestalteten Rahmen. Die betreuenden Personen tragen für diesen Prozess eine zusätzliche Verantwortung.
Im Bremer Zukunftslabor steht vor allem der Klassenverband im Fokus: eine Entscheidungsfindung soll vor allem in der Gruppe diskutiert werden. Außerdem würden die Probenplanung und der Produktionsprozess erheblich aufwendiger, wenn Klassen nicht komplett teilnehmen würden (Vertretungsunterricht, Betreuung während Proben, etc.). Trotzdem dürfen auch die Schüler*innen, deren Klassen nicht teilnehmen können oder möchten, mit dabei sein. Hierfür gibt es entweder ein „Casting“ oder die Möglichkeit von Ferienkursen.
Durch die mehrjährige Erfahrung ist es mittlerweile möglich geworden, den partizipativen Charakter nicht nur in der Organisation des Stückes zum Ausdruck zu bringen, sondern Schüler*innen und Pädagog*innen auch in die inhaltliche Stückentwicklung mit einzubeziehen. Dadurch kann eine Stadtteil-Oper pädagogisch wirkungsvoller und auch künstlerisch interessanter werden – in jedem Fall aber wird sie hiermit auch betreuungsintensiver.
Das „Erfolgreich-zu-Ende-Führen“ muss von Pädagog*innen und Künstler*innen gemeinsam gestaltet werden.
Welche Wege und Lösungen sich aus den Erfahrungen des Zukunftslabors für die Durchführung eines partizipativen Musiktheaters ergeben, erläutern die Fragen und Antworten im Kapitel 3 (Durchführung).
Wie bringt man eine Stadtteil-Oper auf die Bühne?
Die Herausforderung einer Stadtteil-Oper liegt in der Stückentwicklung, in die alle beteiligten Gruppen einbezogen werden (siehe Abschnitt unten zu „Partizipatives Musiktheater“). Themen des Stadtteils und der Lebenswelt der Schüler*innen werden aufgenommen und mit dem Produktionsteam zu einem professionellen Musiktheater verarbeitet.
Die Umsetzung erfordert erfahrungsgemäß von allen Beteiligten ein individuelles Engagement „über den Plan hinaus“. Die Gast-Künstler*innen tragen nicht nur die Verantwortung für ihre Rollen, sondern übernehmen auch außerschulische Kurse wie musikalische Workshops oder Theaterwerkstätten in den Ferien. Einrichtungen aus dem Stadtteil unterstützen die Werkstätten und übernehmen wichtige Aufgaben bei der Logistik und Infrastruktur. Die Schüler*innen, externe Solist*innen und das Orchester treffen in den Gesamtproben innerhalb einer intensiven Probenphase vor der Premiere aufeinander. Planung und Kommunikation innerhalb des Projektes sind für alle zeitintensiv.
Nicht machbar? Viel zu komplex? Keine geeigneten Partner*innen? – Das sind typische erste Reaktionen, die sich aber bei genauerem Nachdenken systematisch klären lassen.
Der erste Schritt lautet: Wo könnten wir eine Stadtteil-Oper aufführen – und wer könnte überhaupt mitmachen?
Welche Aufführungsorte bieten sich an?
Im Falle des Zukunftslabors wagte man sich gezielt mitten hinein in den Stadtteil und die Lebenswelt der Bewohner*innen; zunächst mit Open-Air-Bühnen an verschiedenen zentralen Punkten, später im eigenen Zirkuszelt auf einer Brachfläche mitten zwischen den Hochhäusern, unübersehbar für alle Bewohner*innen.
Wer wirkt mit und wie werden die Akteur*innen gewonnen?
Zunächst muss identifiziert werden, wer potenziell überhaupt zur Verfügung steht. Dies gelingt mit einem einfachen Fragenkatalog.
Akteur*innen bei einer Stadtteil-Oper sind Kooperationspartner*innen, die teilweise von Grund auf völlig unterschiedliche Stärken und Interessen haben. Sie vereint die Überzeugung, dass von einer Stadtteil-Oper über kurz oder lang alle profitieren können: die Schüler*innen, das Klima der Schule, die Sichtbarkeit einzelner Vereine, sowie die Kommunikationskultur, Zusammengehörigkeit und das Gemeinschaftsgefühl im gesamten Stadtteil. Mit diesem ganzheitlichen Argument sollte man versuchen, die Akteur*innen zu gewinnen. Jeder/jede zu gewinnende Partner*in sollte von Anfang an das große Bild vor Augen haben, um das es bei der Stadtteil-Oper geht.
Dies gilt im Übrigen auch für die Profi-Musiker*innen, die sich entweder bereits in einer längerfristigen Partnerschaft mit der Schule befinden, oder gezielt für ein entsprechendes Großprojekt die Kooperation suchen. Auch für sie kann der Kontakt in ihr soziales Umfeld hinein von großem Wert sein. So können sie ihr Netzwerk vergrößern, vor allem aber auch die Wirkungsweisen ihrer Kunst in die Mitte der Gesellschaft hineinlenken und auf einem neuen Level (jenseits des künstlerischen „Elfenbeinturms“) ihre soziale Relevanz aufzeigen.
Anhand der konkreten Fragen wird herausgearbeitet, was der/die potenzielle Partner*in beitragen könnte! Wenn ein*e Partner*in wirkliches Interesse hat, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er oder sie ab diesem Moment Fragen stellt, ins Gespräch kommt und eigene Ideen mit einbringt.
Hier geht der Prozess fließend über zur Stückentwicklung.
Checkliste Stadtteil-Oper: In welchen Bereichen brauche ich Partner*innen?
Egal ob Filmset, große Opernbühne oder Kammerspiel: ein Bühnenbild muss es immer geben. Das Bühnenbild kann aus ganz gewöhnlichen Gegenständen bestehen, aber selbst diese (sowie Requisiten) muss man zusammensuchen, herrichten – und vielleicht hier und da doch etwas bauen. Dafür braucht eine Stadtteil-Oper eine*n Verantwortliche*n. Und diese*r Bühnenbildner*in braucht viel Hilfe, die Dinge umzusetzen. Hier bieten sich Werkstätten und Workshops im Rahmen des Werk- oder Kunstunterrichts an, aber auch außerschulische Angebote und Kooperationen mit Betrieben.
Jeder/Jede Darsteller*in bekommt ein eigenes Kostüm. Dafür sind Kostümbildner*innen zuständig, die in enger Verbindung zu Regie und Bühnenbild entscheiden, wie die Charaktere genau aussehen. Kostüme zu schneidern ist eine beliebte Aufgabe für Eltern, Ehrenamtliche oder Initiativen in der Nachbarschaft.
Hier geht es darum, den Kreis der Darstellenden für andere Generationen als nur Schüler*innen zu öffnen. Außerdem gibt es fast überall Vereine oder Gruppen, die man auf der Bühne miteinbeziehen kann: Gesangsvereine, Kirchenchöre, Blaskapellen, Bauchtanzgruppen, Fitnesskurse.
Die Zusammenarbeit mit der Polizei vor Ort ist in Osterholz-Tenever wichtig. Auch in anderen Stadtteilen mit sozialen Herausforderungen mag es naheliegend sein, die Polizei einzubeziehen und auch den Schüler*innen zu zeigen, dass diese Instanz im Projekt eingebunden ist. Wenn man eine große Veranstaltung plant, ist es aus praktischen Gründen hilfreich oder sogar unerlässlich, mit Feuerwehr oder Technischem Hilfswerk in Kontakt zu sein.
Das Mütterzentrum in Osterholz-Tenever hat bei den letzten Stadtteil-Opern tausende Käsebrote geschmiert und Tonnen von Äpfeln verteilt. Die erfahrene Crew versorgt bist zu 650 Personen am Tag, von der Technik bis zum Solisten. Im Versorgungszelt gibt es Tee aus dem Samowar, Filterkaffee und Wasser. Wenn es geht, essen die Schüler*innen während der Endproben in der Schulkantine. Das entlastet das Catering deutlich! Trotzdem bleibt diese Verantwortung eine Mammut-Aufgabe, besonders, wenn man einen Ort bespielt, der keine Küche oder andere Infrastruktur besitzt.
Veranstaltungstechnik ist Profisache. Hier herrschen strenge Sicherheitsvorkehrungen, mit denen man auch alle Beteiligten vertraut machen muss. Jede Produktion braucht eine*n technische*n Leiter*in, bei der/dem die Gewerke Bühnenbau, Licht und Ton zusammenlaufen. In der Regel kostet das viel Geld, was man im Budget unbedingt einplanen muss: Veranstaltungstechniker*innen sind Dienstleister*innen, die nicht unbezahlt arbeiten können.
Professionelle Künstler*innen spielen bei einer Stadtteil-Oper eine Schlüsselrolle. Sie stehen mit den Laien-Darsteller*innen auf der Bühne, sind in den Probenprozess mit eingebunden, übernehmen Verantwortung für Bühnen- und Kostümbild, und bilden natürlich als musikalisches Rückgrat das Orchester oder das Ensemble.
Wie viele Gastkünstler*innen involviert sind, hängt in erster Linie vom Budget ab und erst in zweiter Linie davon, was ein Stück vorschreibt. Aus diesem Grund gibt es kein Stück für die Stadtteil-Oper, welches man direkt umsetzen könnte. – Denn erst wenn man weiß, auf welche Profis zurückgegriffen werden kann, kann abgeglichen werden, welche Rollen oder Aufgaben der Grundidee unbedingt mit Profis besetzt werden müssen. Unter Umständen müssen Rollen oder Figuren so geändert werden, dass sie von Laien darstellbar sind. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass Profis Spannungsbögen tragen können und möglichst immer auf der Bühne sein sollten, um diese Dramaturgie aktiv mitzusteuern und die Laiendarsteller*innen anzuleiten.
Eine Stadtteil-Oper bedeutet Arbeiten im sozialen Kontext – und damit geht sie über das hinaus, was Schule allein und was ein Orchester und Musiker*innen allein üblicherweise leisten. Weder eine Schule noch Musiker*innen oder Kulturschaffende sind Expert*innen für Soziales. Deswegen gelingt eine Stadtteil-Oper nicht ohne jene, die die Umgebung am besten kennen: das kann wie im Falle von Osterholz-Tenever das sogenannte Quartiersmanagement sein. In anderen Fällen wären dies kommunale Einrichtungen für Soziales, Kultur oder Bildung, in kleinen Orten der/die Bürgermeister*in persönlich. Die kommunalen Akteur*innen können insbesondere bei der Kommunikation und Kontaktaufnahme mit möglichen Partner*innen helfen, da sie in der Regel bereits über ein dichtes Kommunikationsnetz verfügen (Volkshochschule, Arbeitsamt, …).
Wie entsteht das Stück?
Natürlich gibt es kein existierendes Theaterstück, keine Oper, das oder die genau auf die Bedürfnisse der Beteiligten passt. Anfangs arbeitete die Produktion im Rahmen des Kunstlabors Musik mit Auftragskompositionen. Mittlerweile werden unterschiedliche Musikstücke zu einem neuen Ganzen arrangiert und eigene Texte dazu in Auftrag gegeben. So entsteht die Stadtteil-Oper jedes Mal neu – exakt zugeschnitten auf die Beteiligten, ob Profi oder Laie. Jede*r wird gefordert – auch das Orchester und die Profisänger*innen.
Anfangs steht meist eine klare Idee: entweder eine musikalische, oder die Vorstellung, eine bestimmte Geschichte auf die Bühne zu bringen. Diese Initiativ-Idee wird vom Produktionsteam so lange bearbeitet, bis sie so rund ist, dass man für die neue Stadtteil-Oper werben kann.
Nicht überall kann und muss ein komplett neues Stück entstehen. Die Henri-Dunant-Schule in Frankfurt hat beispielsweise die Bremer Stadtteil-Oper „Sehnsucht nach Isfahan“ adaptiert: für Grundschüler*innen, leicht gekürzt, ohne Schulorchester. Dafür mit vielen neuen, eigenen Impulsen. Selbst wenn man also ein existierendes Stück findet, das in Frage kommt: ganz ohne Eingriffe und Bearbeitungen wird man nicht auskommen.
Ein Stück von und für die Beteiligten
Nach der Methode des Partizipativen Musiktheaters entsteht das Stück gemeinschaftlich. Das Thema wird von einem kleinen Team ausgesucht, die Geschichte und die Charaktere aber gemeinsam mit den Beteiligten entwickelt. Grund hierfür ist einzig und allein, dass das Stück so eine ganz besondere Authentizität erhält. Kein einzelner Autor, keine einzelne Autorin könnte herausarbeiten, was Schüler*innen und Menschen im Stadtteil zu den unterschiedlichen Themen, die im Stück vorkommen, bewegt. Die Teilhabe der Beteiligten an der Stückentwicklung ist Kernpunkt des künstlerischen Prozesses.
Das Zukunftslabor fragt zu Beginn einer jeden Produktion:
Möchtest du dabei sein?/ Möchtet ihr als Klasse dabei sein?
Wenn ja: was interessiert dich/euch, in welchem Fach möchtet ihr teilnehmen?
(Hier kann der komplette Fragenkatalog heruntergeladen werden.)
Angesprochen sind Schulklassen, die geschlossen im Klassenverband teilnehmen (beispielsweise im Rahmen von Klassenmusizieren oder aber auch als Kunstklasse, die bei den Kostümen hilft). Auch Vereine und Einrichtungen im Stadtteil werden gezielt angesprochen und auf der Stadtteil-Sitzung öffentlich zum Mitmachen eingeladen. Außerdem können sich einzelne Schüler*innen für Solorollen bewerben (mehr dazu unter Individuelle Potenziale fördern)
Welche Musik wird wie verwendet?
Teilhabe und Mitgestaltung – oder Standard-Repertoire?
Wenn man sich dafür entscheidet, ein Stück für Teilnehmende umzuarbeiten oder mit ihnen ganz neu zu entwickeln, ist dies der anspruchsvollste Teil einer Stadtteil-Oper. Denn: Partizipation führt nicht zwangsläufig zu guten Ergebnissen. Ohne die sorgfältige Führung des Regieteams kann man weder einem hohen künstlerischen Anspruch noch den Bedürfnissen der Schüler*innen und anderen Beteiligten gerecht werden.
Partizipative Stückentwicklung ist ein konstanter Dialog, der von mindestens zwei Personen gesteuert wird: einer Person, die das Gesamtergebnis im Blick hat (beispielsweise der künstlerischen Leitung oder einem/einer Regisseur*in), und einer Person, die den Prozess und die Wünsche und Stärken der Beteiligten im Blick hat (beispielsweise eine pädagogische Leitung oder Lehrkraft). Es ist sinnvoll, diese Aufgabe bewusst zu teilen, denn es sind unterschiedliche Fähigkeiten, Kompetenzen und Erfahrungen gefragt. Die Kunst besteht darin, alle Entscheidungen miteinander zu diskutieren. Für diese Aufgabe benötigt man Menschen, die offen, selbstkritisch und lösungsorientiert arbeiten. Eine Stückentwicklung erfordert also verschiedene Blickwinkel und Zeit, diese sowohl mit den Beteiligten als auch untereinander zu diskutieren.
Anleitung und Hilfestellung – oder kreativer Freiraum?
Prozess – oder Produkt?
In der kulturellen Bildung werden die Begriffe Prozess und Produkt gerne als Gegensätze benutzt. Bei einer Stadtteil-Oper, die von Gegensätzlichkeit lebt, bedingen sie sich gegenseitig.
Aufführungen mit Laien können nur dann gelingen, wenn durch einen sorgfältigen Arbeitsprozess alle unterschiedlichen Bedürfnisse der Vorbereitung getroffen sind. Und wenn Aufführungen mehr als nur „gelingen“ und zu einem einzigartigen Erlebnis für Publikum und Teilnehmende werden, dann fußt dies in der Regel auch auf einem Prozess, in dem die Laien Sicherheit und Überzeugung gewinnen konnten.
Hohe Ansprüche stellen – oder Ansprüche anpassen?
Ansprüche zu haben, lohnt sich!
Wie verläuft die Probenphase?
Eine Stadtteil-Oper ist zeitaufwändig. Deswegen wird im Zukunftslabor höchstens einmal pro Schuljahr, mit einem Abstand von etwa 1,5 Jahren, eine Stadtteil-Oper aufgeführt. Nach jeder Produktion findet eine Nachbereitung statt, bevor mit der Vorbereitung der nächsten Stadtteil-Oper begonnen werden kann.
Aus der Methodik des Partizipativen Musiktheaters und des Schul-Kontexts ergibt sich – anders als in traditionellen Musiktheaterproduktionen – dass Stückentwicklung, Proben und Vorbereitungen gleichzeitig laufen. Das Stück ist also nicht fertig, wenn die Proben beginnen! Um den Prozess für alle sinnvoll zu gestalten, sollten zwischen der Themenfindung und den Aufführungen mindestens 6 Monate liegen.
Ein Großteil der Probenarbeit wird zunächst in den einzelnen Klassen geleistet. Wie viel Vorlaufzeit hier notwendig ist, und wie viel Unterrichtszeit aufgewendet werden muss, hängt sehr von der jeweiligen Aufgabe, beispielsweise der Rolle der Klasse innerhalb der Oper und dem Zusammenhang mit dem jeweiligen Klassencurriculum ab. Jede Lehrkraft kann selbst entscheiden, welchen zeitlichen Umfang die Teilnahme der Klasse haben soll. Verbindlich für alle sind die gemeinsamen Projekttage und die Projektwoche für Endproben und Aufführungen.
Mehr zu den Probenphasen und Tipps zur Gestaltung hier.
Eine große gemeinsame Suche
Die Probenarbeit in einem partizipativen Musiktheater-Projekt verläuft nicht so geradlinig, wie Profi-Künstler*innen das von Opern-Produktionen kennen, insbesondere wenn das Stück gemeinsam entwickelt wird. Umso wichtiger ist es, die richtigen Leitungspersonen für die zentralen Funktionen (Regie, Projektleitung etc.) auszuwählen und in einem gut funktionierenden Team zu arbeiten.
Hier berichtet Alexander Radulescu, der Regisseur der Stadtteil-Opern Bremen 2015, 2017 und 2019.
Der Zeit- und Energieaufwand für die Beteiligten einer Stadtteil-Oper sollte nicht unterschätzt werden
Wie und wann werden die Musiker*innen des Orchesters und andere Profis einbezogen?
Die Musiker*innen der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen und professionelle Solo-Darsteller*innen und -Sänger*innen sind unverzichtbare Beteiligte der Stadtteil-Oper. Die Orchestermusiker*innen bieten nicht nur die professionelle musikalische Basis der Aufführungen. Je nach Zeitkapazität und Interesse begleiten sie auch den Probenprozess, werden als Dozent*innen oder Coaches tätig, unterstützen die Idee, das Thema und die außermusikalischen Themen durch ihr Interesse und Gespräche. Einzelne Musiker*innen stehen von Anfang an im Dialog mit dem Produktionsteam und reden mit, beispielsweise in Sachen Musikauswahl oder Besetzung.
In den Klassen unterstützen die Musiker*innen kontinuierlich. Jeder musikalisch beteiligten Klasse wird ein Coach zugeteilt; dieser kann, muss aber nicht der Pate der Klasse sein. Die Musiker*innen und auch die Schüler*innen haben durch das Klassenmusizieren oder die Patenschaftsprogramme bereits Erfahrung gesammelt, wie man gemeinsam arbeiten kann. Bei der Stadtteil-Oper ändert sich diese Beziehung nicht grundlegend: nur das Ziel ist größer.
Was ist in der Zusammenarbeit mit Profi-Musiker*innen zu beachten?
Auch in Bad Kissingen wurde das Konzept der Stadtteil-Oper übertragen, und die Schulleiter*innen berichten über ihre Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit externen Profis. (Filme: Sebastian Schiller)
– Generell gilt: Kommunikation ist das Wichtigste – besonders die Auswertung von gemeinsamen Proben. Hier kann sofort aufgeklärt werden, wenn etwas nicht den Erwartungen entspricht, bevor das Problem zu groß wird.
Wie fügt sich am Ende alles zusammen?
Dieses Bild bot sich dem Publikum der Stadtteil-Oper „Menuchims Reise“ 2017 in Bremen: Die Familie Mendel erreicht in den 1920er Jahren nach einer langen Reise aus ihrem jüdischen Dorf über den Atlantik New York …
Was das Publikum nur erahnen kann: Hinter den Kulissen hat das Mütterzentrum Tausende Käsebrote geschmiert, Hunderte Kannen Tee und Kaffee gekocht. Der Konzertmeister Florian Donderer führt nicht nur die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, sondern auch ein knapp hundertköpfiges Schulorchester bestehend aus mehreren Instrumental-Klassen. Die Dirigentin Barbara Rucha hat sowohl alle Musiker*innen als auch den riesigen Chor im Blick: Schüler*innen, Lehrkräfte, Eltern, Singbegeisterte aus dem Stadtteil und Mitglieder des Bremer RathsChors singen ein Swing-Stück aus Scott Joplins Oper „Treemonisha“. (Der hat nämlich nicht nur den „Entertainer“ komponiert!)
Alle Kostüme sind handgemacht, ebenso die goldenen Zylinder. Jeder ist auf den Kopfumfang seines Trägers angepasst. Und dass die 9. Klasse in der Bildmitte überhaupt in Abendgarderobe und ihren Hüten auf der Bühne die Beine schwingt, ist allein ihrer hartnäckigen Lehrerin zu verdanken. Die Klasse war anfangs so unmotiviert, dass sie aus Sicht des Produktionsteams gar nicht auf die Bühne gesollt hätte…
Wer hätte das gedacht!
Wie können Sie ein ähnliches Projekt initiieren?
Eine Stadtteil-Oper mit 500 Akteur*innen, Solist*innen und einem Weltklasse-Orchester zu organisieren, stellt im schulischen Alltag eine Ausnahme dar. Es geht auch kleiner!
Die Herausforderung wird immer sein, mit begrenzten Möglichkeiten einzigartige Erlebnisse zu schaffen. Die Idee, dass nichts benötigt wird, was nicht schon da ist, ist zielführender als eine utopische „Wunschliste“. Im Mittelpunkt steht eine nachhaltige Netzwerkarbeit: die örtlichen Gegebenheiten nutzen, dabei Mitstreiter*innen mit ihren unterschiedlichen Stärken zu versammeln und vor allem: das Projekt in den Unterricht der Schule einzubauen.
Es gibt mittlerweile erfolgreiche Projekte an anderen Orten, die nach dem Vorbild der Stadtteil-Oper oder nach sehr ähnlichen Prinzipien konzipiert sind:
Die Stadtoper „Die gute Stadt“ am Theater Freiburg
„Stadtteil macht Oper“ im Drewitzer Dreiklang von Orchester, Grundschule und Begegnungszentrum
Im Rahmen der Kunstlabore wurden zwei Produktionen begleitet, die ihre eigene Version der Stadtteil-Oper umgesetzt haben. Diese Projekte werden im Folgenden kurz porträtiert:
Projektbeispiel: Stadtteil-Oper in Frankfurt Sossenheim
An der Henri-Dunant-Grundschule in Frankfurt-Sossenheim wurde 2017/18 die Bremer Stadtteil-Oper „Sehnsucht nach Isfahan” neu inszeniert. Trotz des bereits bestehenden Stücks entstand hier eine Produktion mit ganz eigenem Charme und vielen neuen Ideen. Besonders beeindruckend ist, wie die Adaption mit einem deutlich geringeren Budget, ohne Profi-Orchester und vor allem mit jüngeren Kindern einer Grundschule gelang.
An der Produktion beteiligt waren sämtliche Schüler*innen der Henri-Dunant-Schule. Musik spielt an der Grundschule eine wichtige Rolle, der Musikunterricht basiert auf dem Konzept des Aufbauenden Musikunterrichts (vgl. Primacanta – jedem Kind seine Stimme). Eine Musikpädagogin unterrichtet Stimmbildung in allen Klassen und erarbeitet mit einem erfahrenen Team regelmäßig eigene Musiktheater-Produktionen.
Mehr Infos zum Projekt hier:
Pressemitteilung Stadtteil-Oper Frankfurt Sossenheim
Pressebericht NMZ „Wo Kontinuität alles bedeutet“
(Foto: Robert Knickenberg)
Projektbeispiel: Musiktheater „Parade“ in Bad Kissingen
In Bad Kissingen fand 2018 unter beratender Begleitung des Bremer Zukunftslabors ein partizipatives Musikprojekt in Kooperation des Kissinger Sommers mit mehreren Schulen, dem Kurorchester, der Jugendmusikschule und weiteren Kooperationspartner*innen der Stadt statt.
Knapp 250 Schüler*innen führten ihr partizipatives Musiktheater „Parade“ auf. Die Produktion war initiiert vom Kissinger Sommer, angelehnt an die gleichnamige Ballett-Komposition Eric Saties, der an der Seite von Avantgarde-Künstlern wie Jean Cocteau und Pablo Picasso das Genre des multimedialen Musiktheaters entstehen ließ. In Bad Kissingen wurde Saties Musik mit Chansons und modernen Einfällen kombiniert und mit neuen Texten ein eigener Handlungsstrang konstruiert. Video-Beiträge der Schüler*innen, selbst gestaltete Kulissen und Kostüme sorgten für eine bunte, ideenreiche Inszenierung.
(Foto: Romana Kochanowski)
Wissenswertes für Lehrkräfte, die ein ähnliches Projekt initiieren möchten:
Die Frage der Finanzierung ist für alle Kapitel im Kunstlabor Musik relevant und stellt bei Großprojekten wie der Stadtteil-Oper eine besondere Herausforderung dar.
Auch hierzu finden Sie im Hinweisblatt „Finanzierung durch Drittmittel“ Informationen und Empfehlungen für die Projektkalkulation und Mittelbeschaffung.
Bei solch großen Projekten wird niemals alles glatt laufen. Das sollte man sich bewusst sein und dementsprechend Vorkehrungen treffen: immer die direkteste, klarste Art der Kommunikation wählen.
Gute Stimmung ist wichtig, genauso die Motivation bei allen Beteiligten: Jede*r muss selbst mitdenken wollen, niemand sollte Ansprüche stellen, die aufgrund der engen Personaldecke nicht erfüllt werden können. Dazu gehört, dass sich alle gleichermaßen wertgeschätzt fühlen.
Und trotzdem ist folgender Punkt vielleicht der wichtigste, den man sich vor Augen führen sollte: Der Lernprozess für alle Beteiligten ist immens, und nur wenn man die richtigen Partner*innen an seiner Seite hat, ist ein Projekt wie die Stadtteil-Oper zu bewältigen. Mut zur Lücke!
Anhand der Frankfurter Stadtteil-Oper „Sehnsucht nach Isfahan“ lässt sich gut erklären, auf was bei Fragen des Aufführungsrechtes geachtet werden sollte.
Grundsätzlich gilt: Bei Musiktheater-Aufführungen gilt das sogenannte „Große Recht“. Immer dann, wenn Musik nicht nur im Konzert aufgeführt wird, sondern in einer Inszenierung auf einer Bühne in eine Handlung eingebettet ist, sind der Verlag oder auch direkt die Künstler*innen für die Aufführungen zuständig. Der Carus-Verlag erklärt das auf seiner Website beispielsweise so: www.carus-verlag.com/Auffuehrungen. Hier ist zu lesen, dass auch bei Bearbeitungen von einzelnen Werken der zuständige Urheber/die Urheberin kontaktiert werden muss. Kompliziert wird es bei Theaterstücken, die wie „Sehnsucht nach Isfahan“ gleich mehrere Urheber*innen haben: Der Librettist Adnan G. Köse hat Rechte an der Aufführung des Librettos, also der Texte. Der Komponist Georg Friedrich Händel ist seit mehr als 70 Jahren tot, seine Werke sind also gemeinfrei und dürfen ohne Genehmigung bearbeitet werden. Die Arrangeurin Lea Fink ist nicht Mitglied der GEMA, beziehungsweise die Arrangements sind bewusst mit Creative Commons Lizenzen zur freien Verwendung und Bearbeitung freigegeben.
Somit muss im Fall einer Aufführung von „Sehnsucht nach Isfahan“ in jedem Fall der Verlag von Adnan G. Köse um Erlaubnis gefragt werden, bei der Verwendung der Musik ist lediglich die Nennung der Arrangeur*innen zu nennen.
Grundsätzlich gilt ebenso wie auch für Bearbeitungen von Stücken für das Klassenmusizieren: auf der sicheren Seite ist man, wenn der Urheber/die Urheberin (Komponist*in, Librettist*in, Arrangeur*in) entweder mehr als 70 Jahre tot ist oder das Notenmaterial unter Creative Commons Lizenzen veröffentlicht ist. Trotzdem nie vergessen: die Namen nennen!
Für das Produktionsteam der Stadtteil-Oper in Frankfurt war der festgelegte Umgang mit dem Libretto von „Sehnsucht nach Isfahan“ ein Nachteil. Aufgrund des jüngeren Alters der Darsteller*innen hätten die Texte und Dialoge an vielen Stellen einer Überarbeitung bedurft. Dies wäre jedoch mit einem Honorar für den Librettisten Adnan G. Köse verbunden gewesen, das bei dieser kleinen Produktion nicht vorhanden war. Deswegen hat das Produktionsteam beschlossen, das Libretto bei der nächsten Stadtteil-Oper 2020 selbst zu schreiben.
Beide Lösungen haben Vor- und Nachteile. Ein guter Text bedarf ebenso des Talents und der Beherrschung des Handwerks wie auch die Regie, die Musik oder das Kostümbild – es wird einen Unterschied machen, ob ein Profi am Werk ist oder nicht. Und Profis müssen immer bezahlt werden, denn Komponist*innen, Librettist*innen,… müssen von ihrem Beruf leben können!
Andererseits muss eine Stadtteil-Oper auch erst einmal möglich werden. Hier gilt es immer abzuwägen und einen Mittelweg zu finden, der allen Beteiligten bestmöglich erscheint.
Hier ist Sorgfalt gefragt. Was Schulen oftmals nicht wissen und deswegen nicht beachten und einhalten: für Künstler*innen ist es sehr wichtig, dass sie genannt werden – und zwar nicht irgendwie irgendwo, sondern nach ungeschriebenen Regeln.
Diese sollten unbedingt befolgt werden, damit die Künstler*innen so in Erscheinung treten können, wie es in ihrer Profession üblich ist. Als Faustregeln gelten:
1) Lieber ein Name zu viel, als zu wenig.
2) Alle beteiligten Künstler*innen sollten das Programmheft oder den Besetzungsteil gegenlesen! Das verkleinert die Gefahr, jemanden zu vergessen.
3) Wenn jemand vergessen wird: einen „Einleger“ kopieren, auf dem auf den Fehler hingewiesen wird und sich bei der Person entschuldigen!
4) Niemand wird böse sein, wenn sorgfältig und gewissenhaft gearbeitet wird und sich trotzdem ein Fehler einschleicht… Aber bemühen sollte man sich unbedingt.
Dasselbe gilt natürlich auch für alle teilnehmenden Lehrkräfte, Helfer*innen, Ehrenamtliche und auch Schüler*innen. Ein Programmheft, in dem alle Mitwirkenden namentlich genannt werden, ist zeitintensiv. Ein Beispiel für die Namensnennungen bei einer Stadtteil-Oper finden Sie im Stadtteil-Oper 2017 Programmheft „Menuchims Reise“.
Hier finden Sie noch einmal alle Materialien zum Download im Überblick
Neben dem Text zu theoretischen Hintergründen des Partizipativen Musiktheaters gibt es den beispielhaften Fragebogen zur Abfrage von Interessen für die Beteiligung von Schulklassen in der Produktion; zudem einen Überblick über die Probenphasen des komplexen Produktionsprozesses und zuletzt den Leitfaden zur Finanzierung von Projekten, der in Teilen auch explizit Großformaten wie der Stadtteil-Oper gewidmet ist.
Eine Stadtteil-Oper ist ein aufwendiges Musiktheater-Projekt mit teils riesigen Ausmaßen. Es geht auch kleiner!
Wenn Sie mehr darüber erfahren möchten, welche Arten der Zusammenarbeit von Schulen mit Profi-Musiker*innen möglich sind, schauen Sie sich hier um.
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland Lizenz.
Alle Texte dieser Seite werden (sofern nicht anders gekennzeichnet) unter Creative Commons Lizenz CC-BY-SA (Namensnennung, Weitergabe unter gleichen Bedingungen) veröffentlicht.
Als Urheberinnen sind nennen: Lea Fink, Franziska Spohr, Stephanie Schiller
Alle Videos dieser Seite werden (sofern nicht anders gekennzeichnet) unter Creative Commons Lizenz CC-BY-SA (Namensnennung, Weitergabe unter gleichen Bedingungen) veröffentlicht.
Als Urheber ist zu nennen: Matthias Sabelhaus
Alle Illustrationen dieser Seite werden (sofern nicht anders gekennzeichnet) unter Creative Commons Lizenz CC-BY-SA (Namensnennung, Weitergabe unter gleichen Bedingungen) veröffentlicht.
Als Urheberinnen sind zu nennen: Anke Dregnat, Tina Nispel
Alle Fotos dieser Seite stehen unter ©.
Urheber: Jörg Sarbach