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Idee
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5. Qualitätsbereich: Der Raum

Durch die Künste entsteht in Schulen ein neuer Möglichkeitsraum, in dem experimentiert, ausprobiert, sowie Wahrnehmung geschult und erweitert werden kann. Dieser Raum ist sowohl ideell als auch materiell, also als fester Ort, zu verstehen.

Neben der anleitenden Person, der Verständigung, der Beziehung sowie dem künstlerischen Prozess ist der Raum ein weiterer wichtiger Faktor, wenn es darum geht, Erfahrungspotenziale an Schulen durch künstlerisches Arbeiten freizusetzen.

Welche Möglichkeiten gibt es, schulische Räume zu nutzen und wie können neue Räume für künstlerisches Arbeiten erschlossen werden?

Abgesehen von den baulichen Voraussetzungen, die nicht immer optimal sind, wird im schulischen Kontext häufig die generelle Raumknappheit thematisiert: künstlerische Projekte seien nicht realisierbar, weil geeignete Räume fehlen. Tatsächlich stehen den Schulen oft nur begrenzt Räume zur Verfügung.

Der Raum als fünfter Qualitätsbereich spielt eine bedeutende Rolle für das Gelingen qualitätsvoller künstlerischer Prozesse in Schulen, im Folgenden zeigen wir jedoch, dass das Fehlen freier Schulräume kein Ausschlusskriterium für künstlerische Arbeit sein muss.
Denn der große Vorteil für Kunst- und Kulturschaffende besteht darin, dass sie potenziell mit dem gesamten Schulraum arbeiten können: seien es Klassen- und Fachräume, Flure, der Schulhof, aber auch Turnhallen, Aulen, Mensen. Es können sogar Toiletten, Treppenhäuser und Keller als Kunsträume genutzt werden. An all diesen Orten kann eine Aushandlung zwischen Kunst und Schule stattfinden. Mit künstlerischen Methoden können unbekannte oder sogar unliebsame Orte der Schule erforscht und neu bespielt werden.
Es geht um eine kreative Nutzung und Erforschung von vorhandenen und bekannten, ebenso wie bisher nicht erschlossenen Räumen. Hierbei ist Fantasie gefragt: Klassenräume können zu Kunsträumen umgenutzt, der öffentliche Raum kann eingebunden oder Keller oder Dachböden können zu Kunsträumen umfunktioniert werden.

Folgende Herangehensweisen an das Thema Raum sind in der künstlerischen Arbeit dabei denkbar und werden unten erläutert:
Ein kreativer Raum ist ein unsichtbarer Raum, in dem etwas sichtbar wird, in dem wir verschiedene Perspektiven einnehmen können. Es gibt bei uns in der Pausenhalle eine neu eingebaute Holztreppe und darunter hat sich eine Nische ergeben, in der die Schüler*innen abhängen. Ich habe diesen Raum als Spielort genutzt. Zum einen ist es ein geschützter Raum, es ist aber auch ein angreifbarer Raum, weil man von dort nicht so schnell wegkommt. Man muss sich mit den Gegebenheiten auseinandersetzen und das ist eine Herausforderung. Es gibt keine Türen, aber trotzdem eine Schwelle, die man übertreten muss, um zu arbeiten und anzufangen.
Celina Rahman, Lehrerin

1. Umgang mit vorhandenen Klassen- und Fachräumen

Wie kann man mit einfachen Mitteln in Klassen- und Schulräumen künstlerisch arbeiten?

Um künstlerisch arbeiten zu können, muss nicht immer nach neuen oder externen Orten gesucht werden. Auch Klassenzimmer und Fachräume können, oft nur mit wenigen Handgriffen, zu geeigneten Räumlichkeiten umgestaltet werden.
Für viele kreative Formate gilt als Raumvorgabe lediglich: Möglich sein sollten das Aufstellen eines Stuhlkreises, das Aufhängen und Legen von Bildern sowie Bewegungsübungen.

Das Format „Sprache mit Bildern entwickeln – Die ganze Welt“ ist ein sehr gutes Beispiel für die Umgestaltung eines Klassenraumes mit minimalen Mitteln.
Für die Arbeit mit dem Bilderbuch „Die ganze Welt“ von Katie Couprie und Antonin Louchard wird zunächst die vorhandene Buchheftung aufgelöst. Die losen Einzelseiten werden somit zu Bildkarten mit Vorder- und Rückseite, die einzeln betrachtet, neu kombiniert und nach verschiedenen Vorgaben sortiert werden können. Die laminierten Bildkarten werden mit Klammern an einer Leine befestigt und quer durch den ganzen Klassenraum aufgehängt, sodass eine Bildergalerie entsteht. Die Kinder können die Karten somit leicht abnehmen und betrachten.
Eine einfache Methode, Impulse für kreative Auseinandersetzungen im Klassenraum zu platzieren: Benötigte Materialien für die Grundausstattung des Raumes sind lediglich die laminierten Bildkarten, eine Wäscheleine und Klammern.

In dem Raum, in dem die Bildkarten hingen, werden auch andere Fächer unterrichtet. Daraus ergab sich, dass die Karten auch für diese genutzt wurden. Im Englischunterricht wurden Bildbeschreibungen vorgenommen und Vokabeln geübt. In Naturwissenschaften suchten wir alle Säugetier-Abbildungen heraus. Letztendlich hingen die Karten länger als geplant und wurden immer wieder in die Stunden einbezogen.
Daniel Jacobj, Lehrer

Beispielprojekt: Moving the classroom

Ein weiteres Beispiel für die Nutzung vorhandener Klassenräume ist das Tanzformat „Moving the classroom“.
Im Rahmen des Formats nähern sich Tänzer*innen mit einer Schulklasse im Fachunterricht – egal ob Englisch, Physik oder Musik – tänzerisch einem Unterrichtsthema an. Dieses Format findet im Klassenzimmer oder Fachraum statt. Falls nötig, werden Tische und Stühle an die Wände gerückt und der so entstandene Freiraum kann bespielt werden. Sogar das Mobiliar des Klassenzimmers kann im Rahmen dieses Formates mit einbezogen werden: Als es beispielsweise um Minusgrade ging, sprangen die Kinder vom Tisch.
Den Schüler*innen wird auf diese Weise ein physischer Zugang zu den Lerninhalten ermöglicht und ein anderes Erleben von Unterrichtsthemen angeboten.

Im Zentrum steht die Frage: Wie können durch physisch-sinnliches Erleben Lerninhalte vermittelt werden?

Die Tischkante war der Nullpunkt und darunter befanden sich die Minusgrade. Das ist eine sinnliche Art des Lernens. Wir haben auch ein körperliches Gedächtnis, das wir als Speicherort nutzen können.
An Boekman, Tänzerin und Tanzvermittlerin

2. Raum als Gegenstand der künstlerischen Auseinandersetzung

Wie kann der Raum selbst zum Teil und Gegenstand der künstlerischen Arbeit werden?

Klassen- und Fachräume können nicht nur Raum für künstlerische Arbeit bieten, sondern auch bewusster und aktiver Bestandteil der künstlerischen Auseinandersetzung sein. Die Räume werden dabei beispielsweise zum Gegenstand einer künstlerischen Inszenierung oder einer Ausstellung. Der Schulraum kann so neu entdeckt und damit selbst zum Thema werden. Er wird neu verhandelt und mit positiver Bedeutung aufgeladen.

Im Projekt „Bodies in schoolyard“ wurde der gesamte Schulraum bewusst mit einbezogen und konnte von den Schüler*innen durch die künstlerische Auseinandersetzung neu entdeckt und erlebt werden:

Beispielprojekt: Bodies in schoolyard

In diesem Projekt der Künstlerin Theresa Herzog und des Lehrers Paul Nierhaus im Kunstlabor Bildende Kunst ging es darum, den gesamten Schulraum mit dem Körper neu zu erfahren und durch eine Änderung des Blickwinkels schulische „Un-Orte“ künstlerisch erfahrbar zu machen.
Es entstand in Anlehnung an das Kunstprojekt „bodies in urban spaces“ des Künstlers Willi Dorner (vgl. Dorner 2014).
Dorner initiierte Interventionen im Stadtraum: Tänzer*innen, Performer*innen und Parkour-Läufer*innen fanden sich in Türnischen, Parkbänken und anderen Orten des öffentlichen Raums als bizarre Körperskulpturen ein und erreichten so eine völlig neue Wahrnehmung des Stadtraums.
Dieser künstlerische Ansatz wurde von Theresa Herzog und Paul Nierhaus auf den Schulraum übertragen. Schüler*innen aus der 5., 6. und 10. Klasse nahmen klassenübergreifend teil und unterstützten sich gegenseitig bei den Körperskulpturen und der dazugehörigen Dokumentation mit der Kamera.

Wir starteten direkt, wollten nicht viel erklären, sondern zeigten lediglich einen kurzen Input-Film einer Performance des Künstlers Willi Dorner. Kurze Sicherheitseinführung, dann schickten wir die Kids in 3er- und 4er-Trupps los, ihre Schule mal mit einem anderen Blick zu erkunden! Nach 20 Minuten trafen wir uns wieder und machten uns mitsamt GoPro und Kamera auf gemeinsame Expedition und erforschten die Räume mit den Körpern. Es wurde viel gelacht, aber eben auch höchst konzentriert gearbeitet und was definitiv geschah: Die Schüler gingen mit einem völlig anderen Blick und Körpergefühl durch ihre eigene Schule!
Theresa Herzog, Künstlerin

Neben der Nutzung von Klassen- und Fachräumen sowie der Entdeckung und Neu-Erfahrung bislang ungenutzter und wenig beachteter Räume, wie beispielsweise des Kellers, kann auch das gesamte Schulgebäude durch Kunst umfunktioniert und vereinnahmt werden, wie folgendes Beispiel aus dem Kunstlabor Theater zeigt, auf das bereits mehrfach eingegangen wurde:

Beispielprojekt: Fächerübergreifendes Stationentheater

In diesem Projekt wurde der gesamte Schulraum für die Inszenierung genutzt und bespielt. Das Schulgebäude wurde Teil der Inszenierung und durch die Verortung der Szenen neu entdeckt beziehungsweise künstlerisch erschlossen – und das alles ohne großen Umbau.

Inhaltlich lieferte die Verteilung der Inszenierung auf das Schulgebäude für die Entwicklung der Szenen in der künstlerischen Arbeit einen zentralen und wesentlichen Impuls. Die Schüler*innen wählten jeweils für sie passende Orte im Schulgebäude aus – von der Schultreppe bis hin zur Umkleidekabine – und inszenierten dort ihre Szenen. Die Verbindung von Räumen und Themen in Form der Szenen und ihrer Verortung im Schulgebäude ermöglichte in den Köpfen der Schüler*innen einen Perspektivwechsel: Die Schule als Lernort wurde zu ihrem persönlichen Identifikationsort.
Das Selbstbewusstsein der Schüler*innen wurde dadurch gestärkt und sie konnten sich als selbstwirksam erfahren, indem sie bei der selbstständigen Aneignung der Schulräume mit ihren eigens entwickelten Szenen aus ihrer sonst im System Schule immanenten Rolle als fremdbestimmte Lernende heraustreten konnten.

3. Umgestaltung von Schulräumen zu Kunsträumen

Welches Potenzial bietet ein Künstler*innen-Atelier in einer Schule?

Kunst kann – wie die vorgestellten Beispiele gezeigt haben – im Klassenzimmer, im Schulflur oder im ganzen Schulgebäude stattfinden. Am wichtigsten ist dabei nicht, wo die Schüler*innen künstlerisch arbeiten, sondern mit wem und wie der Prozess gestaltet ist. Allerdings gibt es Räume, die künstlerisches Arbeiten erleichtern und begünstigen, Impulse geben und für Inspiration sorgen können, beispielsweise ein Künstler*innen-Atelier.

Was kann ein derartiger fest installierter Raum der Künste und permanenter Anlaufpunkt für Schüler*innen bewirken?
Im Kunstlabore-Programm wurde die Etablierung eines Ateliers mehrfach erfolgreich erprobt. Denn die Erfahrungspotenziale der Künste für Schüler*innen fruchtbar zu machen, kann überall gelingen; in ganz besonderer Form jedoch in einem eigens für Künstler*innen eingerichteten Atelierraum.

Ein Atelier ist ein Freiraum für Kunst innerhalb der Schule.
Das Atelier funktioniert als Werkstatt, als Treffpunkt, als Ort der Auseinandersetzung mit Kunst, der eigenen Wahrnehmung und Ästhetik, genauso wie mit Material und dem eigenen Körper. Es ist ein Ort der Inspiration, eine Möglichkeit des Rückzugs aus dem schulischen Alltag und ein Raum mit besonderem Charakter.
Durch das eigene Atelier haben die Künstler*innen die Freiheit, einen Raum individuell zu gestalten. Sie sind nicht mehr „nur“ Gast an der Schule, sondern können sich durch diesen eigenen Raum auch als Gastgeber*in begreifen und werden so zu einem Teil der Schulkultur.

Die Idee, ein Atelier in der Schule einzurichten, stellt aufgrund des dauerhaften Platzbedarfs eine Herausforderung dar. Zugleich bietet die Atelierplanung aber auch eine Chance, einen neuen Ort für die Verhandlung von schulischen sowie persönlichen Themen zu erschaffen, der die Schulkultur bereichern kann. Wenn die Schule die Möglichkeit hat, Künstler*innen einen eigenen Raum zur Verfügung zu stellen, stellt die Einrichtung des Ateliers und die Ausstattung mit Material und Werkzeug einen wichtigen ersten Schritt dar.

Tipps für die Einrichtung eines Ateliers an Schulen:

 

 

Geeignete Räume verfügen über eine Mindestgröße von 50 m², einfallendes Tageslicht sowie ein Waschbecken.

Sichtbarkeit und Erreichbarkeit des Raums sind wichtige Faktoren für die regelmäßige Nutzung, Wahrnehmung und die Einbindung des Ateliers in den Schulalltag.

Einfache Holzplatten auf Böcken können leicht umgestellt oder ganz zur Seite geräumt werden. Fest installierte Tische und Werkbänke bieten ergänzend dazu ebenfalls hilfreiche Voraussetzungen, um mit schweren Materialien oder Werkzeug zu arbeiten.

Empfehlenswert ist eine Raumgestaltung, die eine flexible Nutzung und schnelle Umgestaltung zulässt, so dass es möglich, ist auch kurzfristig auf verschiedene Bedarfe einzugehen. Lassen sich die Tische beispielsweise schnell zur Seite räumen oder auseinanderbauen, kann dies Platz für ein Filmstudio oder großflächigere Arbeit mit Holz bieten. Denn ein Atelier ist ein Werkraum für verschiedene künstlerische Zugänge – beispielsweise Film, Fotografie oder Medienkunst, aber auch Malerei oder Bildhauerei – und ist immer auch an der eigenen künstlerischen Praxis der dort arbeitenden Künstler*innen orientiert.
Die Künstler*innen und auch Schüler*innen erleben durch die flexiblen Elemente sowie die unterschiedlichen Nutzungen eine ständige Wandlung des Raums, der so auch als Inspiration dienen kann.

Gemütliche Ecken mit Sesseln und Teppichen laden zum Verweilen und Entspannen ein.
Diese „Wohnzimmerecken“ geben dem Raum eine private Anmutung und stehen im Kontrast zu der sonst meist etwas nüchternen Einrichtung von Klassenräumen.

Mitgebrachte Gegenstände, Materialien, die eigene künstlerische Arbeit und Bücher der Künstler*innen machen das Atelier persönlicher und sorgen für Inspiration.

Wenn möglich, richten sich die Künstler*innen fest installierte und für die Schüler* innen einsehbare Arbeitsplätze für eigenes künstlerisches Arbeiten ein und machen das Atelier so nicht nur zu einem Raum für die Arbeit mit den Schüler*innen, sondern auch zu ihrem eigenen Arbeitsraum. So wird das Atelier zu einem ganz besonderen Ort, an dem Schüler*innen ihre eigenen Ideen einbringen und weiter verfolgen können.

Wichtig ist auch die technische Ausstattung des Ateliers mit Computer oder Laptop, am besten mit Internetzugang, denn oft geht dem künstlerischen Arbeiten auch eine Recherche voraus.
Eine Kamera bietet die Möglichkeit, Prozesse zu dokumentieren oder Foto- und Videokunst zu erproben.

Oft sind die finanziellen Möglichkeiten zur Einrichtung begrenzt. Stöbern Sie auch in Kellern oder Dachböden Ihrer Schule, dort findet sich manchmal Unerwartetes an Mobiliar oder Werkzeugen.

Zur Verfügung stehendes, vielfältiges Material und Spuren der Herstellungsprozesse sind in einem Atelier im Gegensatz zu einem schulischen Kunstraum immer sichtbar. Die vielen visuellen Eindrücke durch entstandene und entstehende Arbeiten von Schüler*innen und Künstler*innen, die einen sichtbaren Platz im Atelier haben, inspirieren, irritieren oder provozieren Fragen.

Die Herausforderung besteht darin, im Atelier als Künstler*in nicht isoliert zu arbeiten, sondern mit Lehrer*innen in Kontakt zu kommen.
Nutzen Sie als Künstler*in beispielsweise den gleichen Kopierer wie die Lehrer*innen – man kommt schnell ins Gespräch und lernt sich kennen. Oder laden Sie als Lehrer*in die Künstler*innen aktiv dazu ein, sich im Lehrer*innenzimmer vorzustellen, dort Aushänge zu machen oder einfach nur einen Kaffee zu trinken.

Eine Alternative zum Atelier: Die BOX – ein Kunstraum im Raum

Ein ganzes Atelier einzurichten, ist sicherlich nicht in jeder Schule möglich.
Ein Beispiel dafür, dass ein geschützter Raum für Kunst nicht viel Platz einnehmen muss, ist die mobile BOX – ein Raum im Raum für künstlerisches Arbeiten. Die Künstlerin Magdalena von Rudy konzipierte im Kunstlabor Bildende Kunst eine große Holzkiste aus Dachlatten und MDF-Platten, die beliebig im Schulgebäude platziert werden kann. Von außen lassen sich die vier Wände der BOX individuell mit Tapete bespannen und anlassbezogen als Leinwand oder als Präsentationsfläche nutzen.

Im Kunstlabore-Programm wurde die BOX im Rahmen eines Künstler*innen-Ateliers gebaut und hauptsächlich dort eingesetzt. Es gab allerdings auch künstlerische Interventionen in der Aula und auf dem Schulhof.
Durch die leichte Bauweise und die Vielfalt der Einsatzmöglichkeiten kann die BOX flexibel genutzt werden. Sie lässt sich im Kunstunterricht gemeinsam mit den Schüler*innen bauen.

4. Erweiterung des schulischen Raums

Wie kann das schulische Umfeld für die künstlerische Arbeit erschlossen und eingebunden werden?

Künstlerisches Arbeiten kann in Schulen neue Erfahrungsräume für Schüler* innen eröffnen: Neben den konkreten physischen Räumen, die durch die Künste anders erfahrbar werden, ermöglichen diese Erfahrungsräume Schüler*innen auch, ihr soziales Umfeld neu und anders zu entdecken und sich in der Auseinandersetzung mit ihrem Umfeld zu positionieren und sich selbst zu verorten.

Eine große Chance und Herausforderung für die Freilegung von Erfahrungspotenzialen liegt darin, das familiäre und soziale Umfeld der Schüler*innen in die Arbeit einzubinden sowie den sozial-räumlichen Kontext der Schule zu bespielen und gegebenenfalls zu erweitern.

Zwei Beispiele aus den Kunstlaboren Musik und Theater zeigen, wie durch künstlerisches Arbeiten das gesamte Umfeld der Schule in den Prozess einbezogen wird.
In beiden Projekten wird der Stadtteil mit seinen Themen und Akteur*innen involviert. Die Einbindung des Schulumfeldes in den künstlerischen Prozess bietet auch Möglichkeiten der Öffnung der Schule in den Stadtraum und ermöglicht dadurch eine stärkere Identifikation der Schüler*innen mit dem sie umgebenden Sozialraum. Zugleich wird eine andere Wahrnehmung ihres direkten Umfeldes gefördert: Die Erschließung von neuen, beispielsweise historischen Bedeutungsebenen ihres Stadtteils und das Herstellen eines Bezugs zu ihrer Lebenswirklichkeit ermöglicht den Schüler*innen, aktiv ihren Sozialraum mitzugestalten.
Durch Kunst kann ein Ort oder Stadtteil verwandelt werden. Nicht nur die Schüler*innen schlüpfen dabei in neue Rollen, sondern sie weisen auch ihrem Stadtteil eine neue Rolle zu.

Gleichzeitig sollte dabei aber auch bedacht werden, dass eine Erweiterung des schulischen Umfelds und stadtteilbezogene künstlerische Produktionen immer mit hohem koordinatorischen Aufwand verbunden sind und eine gute Planung und Abstimmung benötigen.

Beispielformat: Die Stadtteil-Oper

Im Falle der Stadtteil-Oper des Zukunftslabors der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen wagen sich die Beteiligten mitten hinein in den Stadtteil und die Lebenswelt der Schüler*innen. In dem von der Schule und dem Zukunftslabor organisierten Großprojekt bringen sich Schüler*innen, Lehrer*innen, Eltern, Bewohner*innen und Einrichtungen aus dem Stadtteil auf vielfältige Weise ein.
Die partizipativen Opernproduktionen werden mithilfe eines professionellen Produktionsteams mit den im Stadtteil vorhandenen Ressourcen gestaltet und gemeinsam entwickelt. Sie stärken auf diese Weise das soziale Miteinander vor Ort und strahlen positiv auf den gesamten Stadtteil und sogar weit darüber hinaus. Die Identifikation und der Stolz auf Schule und Stadtteil wird bei allen Beteiligten gestärkt. Die Gesamtschule Bremen-Ost – früher als Brennpunktschule eher gemieden – ist heute sehr attraktiv für viele Eltern und Schüler*innen.

Dieses Bild bot sich dem Publikum der Stadtteil-Oper „Menuchims Reise“ 2017 in Bremen.
Das Thema dieser Oper lautete Migration, ein aktuelles Thema auch im Stadtteil der Schule, der durch Interkulturalität geprägt ist. Die Handlung: Die Familie Mendel – die Protagonist*innen der Oper – erreicht in den 1920er-Jahren nach einer langen Reise aus ihrem jüdischen Dorf über den Atlantik New York und baut sich dort ein neues Leben auf. Was sich hinter den Kulissen für diese Inszenierung abgespielt hat, ist schwer vorstellbar: Das Mütterzentrum belegte Tausende Käsebrote und kochte Hunderte Kannen Tee und Kaffee. Der Konzertmeister führte nicht nur das Profi-Orchester, sondern auch ein knapp hundertköpfiges Schulorchester bestehend aus mehreren Instrumental-Klassen. Die Dirigentin hatte sowohl alle Musiker*innen als auch den großen Chor im Blick, der sich zusammensetzte aus Schüler*innen, Lehrer*innen, Eltern, Singbegeisterten aus dem Stadtteil und Mitgliedern eines Bremer Chors. Hinter den Kulissen wurden zudem alle Kostüme handgefertigt – natürlich in den passenden Größen.
Auch wenn es auf den ersten Blick unmöglich erscheint, ein so aufwendiges und zeitintensives Format umzusetzen, so ist die Stadtteil-Oper – angepasst an die Gegebenheiten vor Ort – zu einem oft nachgeahmten Format an zahlreichen Schulen geworden, wie beispielsweise an der Henri-Dunant-Grundschule in Frankfurt-Sossenheim und der Potsdamer Grundschule „Am Priesterweg“.

Wie die Einbindung des sozialen Umfeldes in die künstlerische Arbeit zur Identifikation und zum Ankommen geflüchteter Jugendlicher in ihrer neuen Heimat beitragen kann, zeigt das Beispiel „Theaterarbeit mit geflüchteten Jugendlichen“ des Kunstlabors Theater:

Beispielprojekt: Theaterarbeit mit geflüchteten Jugendlichen

Das zentrale Ziel der Arbeit war die Verortung der Jugendlichen in ihrer neuen Heimat Hamburg, speziell in ihrem Stadtteil Wilhelmsburg durch die Verbindung von Orten mit persönlichen Geschichten.
Der Einstieg in das Projekt erfolgte über Kartenmaterial. Gemeinsam mit den Schüler*innen lasen die Künstlerinnen Stadtpläne und befragten die Jugendlichen nach ihren Lieblingsorten in der Stadt. Drei davon wurden ausgewählt: ein Boxclub, in dem einer der Jungen regelmäßig trainierte, der S-Bahnhof Wilhelmsburg und ein Park. An diesen Orten entstand das Material für das Stück in Form von kurzen Filmen, Tonaufnahmen und szenischen Sequenzen. Die einzelnen Teile wurden dann in der Schule zu einem gemeinsamen Stück verarbeitet.
Ziel des Projektes war es, durch die Verortung der Jugendlichen in ihrer neuen Heimat eine Verbindung von eigener Identität und neuer Heimat herzustellen.
Die Einbindung des Stadtteils und die Verbindung von neuen Orten mit persönlichen Geschichten führten zu einer Öffnung der Jugendlichen gegenüber dem Stadtteil und zugleich zu einer Stärkung ihres Selbstbewusstseins, indem sie sich über das Mittel des künstlerischen Prozesses als Teil ihrer neuen Umgebung wahrnahmen.

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Downloadmaterial und Tipps

Sie wollen mehr über qualitätsvolle, künstlerische Arbeit in Schulen, ihre Wirkweisen und Voraussetzungen erfahren?

Hier finden Sie ein Videotutorial und die gesammelten Downloadmaterialien zum Thema „Raum“, inklusive unseres eBooks zum Ratgeber „Kunstlabore: Für mehr Kunst in Schulen!“, der ausführlich auf die Hintergründe der relevanten Erfahrungspotenziale und Qualitätsbereiche in der künstlerischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen eingeht.

Videotutorial

 

 

Im Kunstlabor Theater wurde ein Videotutorial entwickelt, in dem die Theaterpädagogin Gesche Lundbeck verschiedene Möglichkeiten zur Nutzung von schulischen Räumen für die Theaterarbeit vorstellt.

Sie möchten mehr über künstlerische Arbeit an Schulen erfahren?

Hier gelangen Sie zurück zur Übersicht über die fünf Qualitätsbereiche, die die Basis für qualitätsvolle, künstlerische Arbeit an Schulen bieten.

Wenn Sie in die Projekte und Formate der fünf Kunstlabore eintauchen möchten, finden Sie diese hier:


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