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Idee
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1. Qualitätsbereich: Die anleitende Person

Die Personen, die den künstlerischen Prozess in Schulen anleiten und für ihn verantwortlich sind, stehen im Zentrum der fünf Qualitätsbereiche.

In den Kunstlaboren waren dies beispielsweise Künstler*innen, Musiker*innen, Tänzer*innen, Regisseur*innen, Dramaturg*innen, Kunstvermittler*innen, Tanzpädagog*innen, Theaterpädagog*innen und Lehrer*innen.

Welche Voraussetzungen sollten anleitende Personen mitbringen, damit künstlerische Prozesse in Schulen in hoher Qualität gelingen?

Damit künstlerische Arbeit gelingt und die Erfahrungspotenziale für Schüler*innen zur Entfaltung kommen, ist das Zusammenspiel folgender Aspekte wichtig:
Die Rolle und Persönlichkeit des Künstlers beziehungsweise des Projektdurchführenden ist wichtig, denn vieles führte nicht dadurch zum Erfolg, weil wir unglaublich komplexe Erfindungen gemacht haben, sondern wegen der Art und Weise, WIE wir vorgegangen sind. Hier kommt nicht nur unsere meist andere Haltung zum Vorschein, sondern auch die Professionalität, das Authentische, die Leidenschaft für die Inhalte und die Vorgehensweisen.
Magdalena von Rudy, Medienkünstlerin im Kunstlabore-Programm

1. Haltung

Was zeichnet eine Haltung aus, die es ermöglicht, künstlerische Prozesse mit Schüler*innen qualitätsvoll zu gestalten?

Im Bildungs- und Kulturbereich lautet eine der zentralen Fragen, über welche Persönlichkeitsmerkmale eine Person verfügen sollte, um künstlerische Prozesse bei Kindern und Jugendlichen anzustoßen, zu begleiten und anzuleiten. In der Arbeit der Kunstlabore hat sich jedoch gezeigt, dass nicht die Frage nach den festen Persönlichkeitsmerkmalen, die eine Person mitbringt, für die qualitätsvolle Zusammenarbeit mit Schüler*innen am bedeutsamsten ist, sondern die Frage nach der Haltung dieser Person.

Haltung ist erlern- und erfahrbar, sie kann sich verändern, sich im Lebensverlauf weiterentwickeln und man kann sie sich aneignen. Haltung beinhaltet Werte, Motivation, Verhaltens- und Umgangsweisen sowie Ziele. Doch: Was zeichnet diese Haltung aus?

Dieser Frage widmeten sich die Partner*innen des Kunstlabore-Programms mit verschiedenen Methoden, unter anderem mithilfe von Video-Prototyping und spielerischen Zugängen. Unabhängig davon, ob es um Tanz, Theater, Literatur, Musik oder Bildende Kunst in Schulen ging, zeigte sich: Es gibt mehrere Merkmale, die bezüglich der Haltung anleitender Personen von künstlerischen Prozessen an Schulen essentiell erscheinen. Diese, von den Beteiligten genannten Merkmale werden unten aufgeführt und können nicht nur als Anspruchshaltung der Kunst- und Kulturschaffenden und Lehrer*innen an sich selbst verstanden werden, sondern auch der Auseinandersetzung mit dem eigenen Rollenverständnis in der Zusammenarbeit dienen.

Eine wichtige Grundlage für die Entwicklung einer Haltung in und gegenüber künstlerischen Prozessen stellt zunächst die Reflexionsfähigkeit der Beteiligten dar. Diese Reflexionsfähigkeit beinhaltet die Bereitschaft, als Kunst- und Kulturschaffende*r die eigene Rolle im System Schule und gegenüber den Schüler*innen, Lehrer*innen und weiteren beteiligten Akteur*innen zu reflektieren. Dabei geht es darum, differenziert seine eigene Haltung zu hinterfragen. Das betrifft die eigene Haltung gegenüber Kunst, gegenüber Schüler*innen, gegenüber Schule und Bildung sowie generell gegenüber der Gesellschaft. Wichtig ist etwa, dass Kunst- und Kulturschaffende sich ihre Erfahrungen aus der eigenen Schulzeit vergegenwärtigen und sich von ihrem persönlich geprägten Bild von Schule distanzieren können. Nur so besteht die Möglichkeit, Schulen unvoreingenommen zu begegnen und einen neuen Erfahrungsraum mit allen Beteiligten zu öffnen. Für Lehrpersonen ist es wichtig, ihre eigene Rolle im System Schule zu hinterfragen. Vor allem aber geht es darum, künstlerischen Prozessen und Kunst- und Kulturschaffenden mit einer offenen Haltung gegenüber zu treten.

Die Kunst- und Kulturschaffenden verstehen sich dabei als Impulsgeber*innen mit einer gelebten Grundhaltung, die ebenso für alle weiteren Beteiligten im künstlerischen Prozess von Bedeutung ist. Diese ist geprägt durch Zuhören, Fragen, Dialog, Diskussion, Reflexion und beständiges Lernen.

Die Haltung als Kunst- und Kulturschaffende*r und Lehrperson

 

 

Es geht darum, offen zu sein gegenüber Menschen, neuen Systemen, Prozessen und Inhalten und sich flexibel auf neue Themen und Menschen einzulassen. Hierbei ist die Bereitschaft, Kontrolle abgeben zu können und eine fragende Grundhaltung mitzubringen ebenso wichtig, wie ergebnisoffen und prozessorientiert zu sein und Improvisation als etwas Positives anzusehen.

Sozial kompetent zu sein, bedeutet, respektvollen Umgang mit anderen zu pflegen, ehrliches Interesse am Menschen zu haben, im Team arbeiten und Beziehungen aufbauen zu können, empathisch zu sein und auf die Anliegen anderer eingehen zu können, aber auch wohlwollend Grenzen zu setzen.

Hier geht es für Kunst- und Kulturschaffende darum, als Mensch aber auch als Künstler*in authentisch und sich seiner Person und seiner Kunst bewusst zu sein. Dazu gehört, Vertrauen in sich selbst und in die eigene künstlerische Arbeit zu haben. Und auch aus Sicht von Lehrpersonen geht es darum, authentisch in der eigenen Motivation und den eigenen Interessen und Fähigkeiten zu sein und diese offen zu kommunizieren.

Ebenso wichtig ist es, auf die eigene Intuition zu vertrauen und dem Bauchgefühl zu folgen. Künstlerische Prozesse gestalten sich häufig sehr viel ergebnisoffener als pädagogische und bedürfen deshalb oft situativer Herangehensweisen. Intuition meint hierbei jenes schwer zu beschreibende und oft unbewusste Wissen, das aus einer Kombination aus Erfahrungswerten und Professionalität heraus entsteht. Die Stärke der Kunst- und Kulturschaffenden besteht in dieser intuitiven Herangehensweise. Sie nutzen verstärkt die Intelligenz des Unbewussten, um spontane Entscheidungen zu treffen, Muster zu erkennen oder mit Herausforderungen umzugehen, was zu neuen Impulsen an Schulen führen kann.

Bei vielen Projekten, die ich mit den Schüler*innen mache – auch wenn es sich um Unterrichtsinhalte und Wünsche der Lehrer*innen handelt – gehe ich immer wieder vom eigenen Interesse aus. Zu noch so fremden Inhalten und Fragestellungen kann man immer einen persönlichen Bezug herstellen. Ich sehe die Schule und Schüler*innen durch meine bestimmten Vorlieben, Fragestellungen, Inhalte und Arbeitsweisen.
Magdalena von Rudy, Medienkünstlerin

Die Haltung gegenüber dem Schulsystem und der Kunst

 

 

Wenn Kunst- und Kulturschaffende in Schulen arbeiten, prallen zwei Systeme aufeinander. Kunst- und Kulturschaffende können in Schulen viel freier agieren, sie sind nicht an die systemimmanenten Zwänge, wie beispielsweise die Notengebung und Stundentaktung gebunden. Damit gemeinsame künstlerische Prozesse gelingen können, benötigen sie jedoch die Fähigkeit und den Willen, sich in einem zunächst fremden System – Schule – zurechtzufinden, sich darauf einzulassen und dem Gegenüber ihre Wertschätzung zu zeigen. Für Lehrpersonen ist es wichtig, flexibel zu sein und sich auf die häufig viel ergebnisoffeneren künstlerischen Prozesse einzulassen.

Zu Beginn der Zusammenarbeit ist es für die Kunst- und Kulturschaffenden wichtig, Beziehungen aufzubauen, Gespräche zu führen, die Rhythmen und Anforderungen der Schule kennenzulernen: die Stunden und Pausen, die täglichen Notwendigkeiten der Lehrer*innen, die Kommunikationswege und -formen, die Klassen- und Fachräume, den Schulhof, die Flure, die Stimmung und die Dynamik. Für Lehrpersonen kann es sehr gewinnbringend sein, die Kunst- und Kulturschaffenden beispielsweise im Atelier zu besuchen und den Arbeitsalltag kennenzulernen, um Verständnis gegenüber den anderen Abläufen von künstlerischer Arbeit zu entwickeln. Es ist wichtig, die Strukturen kennenzulernen, in denen das Gegenüber arbeitet, um Kompromissbereitschaft und Wertschätzung füreinander zu entwickeln.

In einem Sozialraum wie der Schule, wo viele Persönlichkeiten gemeinsam miteinander auf engem Raum koexistieren, kommt es unweigerlich zu Konflikten. Hier ist es wichtig, dass Kunst- und Kulturschaffende dabei helfen, das positive Potenzial von Konflikten zu vermitteln, aber auch, dass sie selbst konfliktfähig und kritikfreundlich sind, zum Beispiel hinsichtlich der eigenen Rolle im System Schule. Das schließt den Umgang mit den Lehrer*innen, die vielleicht im Unterricht andere Prioritäten verfolgen, genauso ein, wie den Umgang mit dem eigenen künstlerischen Prozess, wenn in der Schule nicht die eigene Kunst und der eigene Ausdruck im Vordergrund stehen, sondern die Arbeit mit den Schüler*innen und deren Ideen.

Für Kunstschaffende an Schulen ist es wichtig, die eigene künstlerische Identität zu bewahren. Über einen längeren Zeitraum an Schulen zu arbeiten, bedeutet auch, Teil dieses Systems zu werden und gleichzeitig eine Form der Widerstandsfähigkeit gegenüber den Strukturen, Gesetzen und Denkweisen der Schule beizubehalten, da sonst die wertvollen künstlerischen Eigenschaften ihre Kraft nicht entfalten können und im Schulsystem verpuffen. Hierbei handelt es sich um den Drahtseilakt, sich einerseits auf die Schule einzulassen und gleichzeitig offen zu bleiben. Das heißt: die Erwartungen und Wünsche der Akteur*innen wahr- und ernst zu nehmen, einen offenen Prozess zuzulassen, eigene Methoden und Themen einzubringen, Impulse zu setzen und den Kontakt zu sich selbst zu behalten.

Die Rolle der Lehrer*innen in künstlerischen Prozessen ist klarer, weil sie im vertrauten System agieren. In der Zusammenarbeit mit externen Kunst- und Kulturschaffenden ist es besonders für Lehrpersonen wichtig, ihre Rolle im System Schule zu reflektieren und sich ein Stück weit vom schulischen Alltag zu lösen, um in künstlerischen Prozessen flexibel agieren zu können.

In der freien Arbeit ist die Gruppe in besonderer Weise formgebend für die Entwicklung des Stückes. Deshalb gucke ich immer wieder – auch losgelöst von der inhaltlichen Arbeit – auf soziale Prozesse und versuche, über die Theaterarbeit darauf zu reagieren. Das heißt, ich passe die Wahl der Übungen und künstlerischen Mittel der Gruppe von Schüler*innen an. Ist die Gruppe wild und laut, nutze ich diese Energie in der Arbeit. Sind die Deutschkenntnisse noch nicht ausreichend, lasse ich beispielsweise auch andere Sprachen einfließen oder lege den Fokus auf choreografische Elemente. Während der Grundlagenarbeit zeigen sich auch oft besondere Begabungen einzelner Schüler*innen, die ich dann gezielt für die Stückentwicklung einsetze.
Gesche Lundbeck, freie Theaterpädagogin

Die Haltung gegenüber den Schüler*innen

 

 

Hierbei geht es darum, den Kindern und Jugendlichen in einem künstlerischen Prozess einerseits etwas zu vermitteln: Begeisterung, Leidenschaft, künstlerische Strategien der Weltaneignung und natürlich auch das Handwerkszeug für künstlerisches Arbeiten. Wichtig dabei ist, als Kunstschaffende*r und Lehrperson Leidenschaft zu haben und zu zeigen, sowohl für das künstlerische Tun als auch für die Vermittlung der künstlerischen Herangehensweisen an die Schüler*innen.

Die externen Kunst- und Kulturschaffenden in Schulen sind immer auch Vermittler*innen und Botschafter*innen des jeweiligen künstlerischen Handwerks. Vermittlung ist jedoch nicht nur auf Wissensweitergabe und handwerkliche Schulung begrenzt, sondern beinhaltet darüber hinaus das Schaffen, Anbieten und Begleiten von Erfahrungen und sinnlichen Erlebnissen. Als Faustregel gilt dabei: Erst begeistern, dann erklären.

Eine wohlwollende Grundhaltung gegenüber den Lernenden, Vertrauen in die Schüler*innen und Zutrauen in ihre Kompetenz zu haben, ist von entscheidender Bedeutung für eine gelingende gemeinsame Arbeit. Hierbei ist es wichtig, die Schüler*innen individuell und in der Gruppe wahrzunehmen, sie zu verstehen und in ihren Belangen ernst zu nehmen, sowie Schwierigkeiten oder Ängste zu erkennen und zu besprechen. Besonders relevant ist dabei, mit einem stärkenorientierten Blick auf die Schüler*innen zuzugehen und ihre entstehenden Ideen anzuerkennen.

Auf Augenhöhe zu sein, heißt auch, mit dem zu arbeiten, was von den Schüler*innen an Interessen, Können, Wünschen und Bedürfnissen eingebracht wird. Wichtig ist hierbei, die Schüler*innen und das, was sie mitbringen, in der künstlerischen Arbeit ernst zu nehmen, darauf aufzubauen und Aushandlungsprozesse gemeinsam zu gestalten.

Dabei geht es nicht nur um den gegenseitigen Respekt, sondern auch darum, voneinander zu lernen.

Hierbei geht darum, offen zu sein für eigene Lernprozesse und auch für Anregungen von den Schüler*innen, diese aufzunehmen und damit weiter zu arbeiten. Diese intensive Zusammenarbeit kann nicht nur für die Persönlichkeitsentwicklung, sondern speziell auch bei den Kunst- und Kulturschaffenden für das eigene künstlerische Tun bereichernd sein, indem neue Anregungen gewonnen werden.

Wertfrei zu sein, heißt im künstlerischen Prozess an Schulen, mit einer nicht-bewertenden Haltung an die Ideen der Schüler*innen heranzugehen, sie wertzuschätzen, aufzugreifen und in ihrer Eigenheit damit weiterzuarbeiten.

Auch im Umgang mit den Schüler*innen geht es darum, konstruktives und wertschätzendes Feedback zu geben und Auseinandersetzung als Chance zur eigenen Weiterentwicklung zu sehen und den Schüler*innen dies genauso zu vermitteln. Eine große Stärke der Kunst liegt darin, dass es kein Richtig und kein Falsch gibt, sondern viele Wege und Möglichkeiten.

Künstlerisches Arbeiten bedeutet, einen offenen Prozess anzuleiten, ohne den Weg zu sehr vorzugeben und somit eventuell die Lösungsmöglichkeiten zu beschränken. Wichtig ist in der Kunst das Einlassen auf ein Thema und die Auseinandersetzung mit diesem mit offenem Ausgang. Kunst- und Kulturschaffende nutzen das Vorgefundene häufig als Material, sie experimentieren damit, lassen sich auf die Themen und Menschen ein und richten ihr Interesse vor allem auch auf die Prozesse. Häufig kommen von den Schüler*innen oder anderen Akteur*innen Impulse für die gemeinsame Arbeit, die im Prozess aufgegriffen und weiterentwickelt werden. Jeder Inhalt und jedes Thema kann somit künstlerisch bearbeitet werden. Es kommt dabei weniger auf den Ausgangspunkt an, als vielmehr darauf, wie man den gemeinsamen Prozess gestaltet.

Ich selber bin in diesem Prozess eigentlich eher an einem Austausch mit den Schüler*innen interessiert, als daran, ihnen etwas vorzusetzen. Ich möchte wissen, was sie interessiert und wie sie denken. Ich möchte, dass sie in einen kreativen Prozess einsteigen, der echt ist, mit allen Höhen und Tiefen, und nicht leer, indem sie sich zwar Dinge ausdenken und kreativ sein müssen, aber ohne, dass ihnen wichtig ist, was sie tun.
Hanna Hegenscheidt, Tanzvermittlerin und Choreografin

2. Kunstverständnis und künstlerische Praxis

Welche Rolle spielt die eigene künstlerische Praxis und das zugrunde liegende Kunstverständnis bei der künstlerischen Arbeit in Schulen?

Künstlerische Arbeit in Schulen wird idealerweise in Zusammenarbeit mit Kunst- und Kulturschaffenden durchgeführt, die, von außerhalb kommend, im Schulsystem freier agieren können. Das Kunstwerk als sichtbares, hörbares oder erlebbares Ergebnis eines künstlerischen Arbeitsprozesses steht in der künstlerischen Praxis in Schulen nicht im Mittelpunkt der Betrachtung. Vielmehr hat sich hier ein Kunstverständnis etabliert, in dem die Kunst- und Kulturschaffenden gesellschaftliche Prozesse als Motor für das eigene künstlerische Schaffen verstehen.

Im Kunstlabore-Programm haben Kunst- und Kulturschaffende aus fünf verschiedenen Kunstsparten gemeinsam und spartenübergreifend ihre jeweilige künstlerische Praxis und die zugrunde liegenden Kunstverständnisse reflektiert. Wichtige Fragen lauteten dabei: Welches Selbstverständnis haben die Kunst- und Kulturschaffenden, die in Schulen arbeiten? Wodurch ist ihre künstlerische Praxis geprägt?

Gemeinsam war allen, dass sie Kunst als sozialen, ergebnisoffenen und ko-kreativen Prozess sehen, der von Kunst- und Kulturschaffenden, Lehrer*innen und Schüler*innen gemeinsam gestaltet wird.

Doch was genau bedeutet das?

Kunst als sozialer Prozess 

Dieses Kunstverständnis beinhaltet nicht nur die eigene schöpferische Tätigkeit. Im Gegenteil: es geht darum, gemeinsam mit allen Beteiligten unter Einbeziehung ihrer Interessen und Lebenswelten künstlerisch zu arbeiten. Dies betrifft die Arbeit in kleinen Gruppen oder Schulklassen ebenso wie in größeren sozialen Zusammenhängen.

Im Kunstlabor Musik der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, die als Orchester eine Wohngemeinschaft mit der Gesamtschule Bremen-Ost eingegangen ist, wird zum Beispiel regelmäßig eine Stadtteil-Oper entwickelt und inszeniert, die den gesamten Stadtteil in den künstlerischen Prozess einbezieht.

Beispielprojekt: Stadtteil-Oper

In Bremen wird die Stadtteil-Oper als Partizipatives Musiktheater verstanden. Das Konzept sieht die aktive Beteiligung und Mitgestaltung des Stücks und der Inszenierung durch die nicht-professionellen Teilnehmenden – die Schüler*innen, sowie die Bewohner*innen des Stadtteils – vor. Es geht hierbei also nicht nur um deren Einbindung in eine Musiktheaterproduktion als Darsteller*innen, sondern um die tatsächliche Freilegung von Gestaltungsräumen für die Mitwirkenden innerhalb der Stückentwicklung, der Ausstattung, der Inszenierung und des Probenprozesses bis hin zur Aufführung.

Themen des Stadtteils und der Lebenswelt der Schüler*innen werden aufgenommen und mit dem Produktionsteam zu einem professionellen Musiktheater verarbeitet. Das Stück entsteht im Idealfall erst gemeinsam mit allen Beteiligten und berücksichtigt deren Interessen und Fähigkeiten. So können sich die Schüler*innen und andere Mitwirkende sinnvoll und wirksam einbringen, beeindruckend tiefgehende Erfahrungen machen und sich mit dem künstlerischen Prozess und dem Ergebnis identifizieren, was im Hinblick auf ihre Persönlichkeitsentwicklung wertvolle Erkenntnisse fördert.

Kunst als ko-kreativer Prozess

Kunst- und Kulturschaffende, die in Schulen arbeiten, sehen ihre eigene künstlerische Praxis häufig auch als ko-kreativen Prozess. Wichtig ist hierbei die Einbeziehung der künstlerischen Ausdrucksformen aller Beteiligten, um gemeinsam etwas Neues zu erschaffen.
Kunst- und Kulturschaffende, die Kunst als sozialen und ko-kreativen Prozess betrachten, treten in Interaktion mit Schüler*innen, teilen ihr Wissen, machen ihre künstlerischen Strategien transparent, beziehen die Lebenswelt und Interessen der Schüler*innen ein und arbeiten vor allem gemeinsam mit ihnen auf Augenhöhe im gestalterischen Prozess.

Das Projekt „Videoportrait“ aus dem Kunstlabor Bildende Kunst zeigt, wie dieser Prozess gestaltet werden kann:

Beispielprojekt: Videoportrait

Im Kunstlabor Bildende Kunst hat die Medienkünstlerin Magdalena von Rudy an der Gesamtschule Solingen gemeinsam mit zwei Lehrerinnen das mehrmonatige Projekt  im Rahmen des Kunstunterrichts der Jahrgangsstufe 12 durchgeführt. Es sind beeindruckende Portraits der Jugendlichen entstanden, in denen die Grenzen zwischen Foto und Video verschwimmen und die Schüler*innen sich mit Hilfe der Künstlerin individuell in Szene gesetzt haben. Gemeinsam mit der Künstlerin beantworteten sie auf künstlerische Weise Fragen nach der eigenen Identität.

Ko-kreative künstlerische Prozesse erfordern häufig eine vertrauensvolle Beziehung und Wertschätzung zwischen Kunst- und Kulturschaffenden und Schüler*innen ebenso wie zwischen den einzelnen Schüler*innen. Um die Schüler*innen im Projekt „Videoportrait” zu ermutigen, berichtete die Künstlerin von ihren eigenen ersten Erfahrungen mit Videoaufnahmen und erzählte beispielsweise, dass es auch ihr zu Beginn unangenehm war, vor der Kamera zu stehen. Ihr habe es anfangs geholfen, mit Masken zu arbeiten, um aktiv in eine andere Rolle zu schlüpfen. Im Projekt konnten die Schüler*innen die Erfahrung machen, dass Kunst persönlich sein kann, ohne etwas Intimes und Privates verraten zu müssen. Bei der Präsentation der Videoportraits zum Abschluss des Projektes waren die Schüler*innen überrascht von der Intensität und Wirkung der Videos.

Kunst als ergebnisoffener Prozess

Wesentlich im Kunstverständnis der Kunstlabore-Partner*innen war die Auffassung von Kunst als einem gemeinschaftlichen Prozess, in dem sich das Ergebnis erst im Verlauf durch die Gestaltung der Beteiligten entwickelt. Der Arbeitsprozess mit seinen individuellen und gruppenbezogenen Suchbewegungen, die Verständigung darüber, die Erfahrung der eigenen und gemeinsamen Schaffenskraft – all diese, den Prozess bestimmenden Faktoren werden dabei als ebenso relevant oder sogar relevanter angesehen als das Ergebnis.

Das folgende Beispiel zeigt, wie eine Regisseurin im Kunstlabor Theater gemeinsam mit einer Schauspielerin und einer Internationalen Vorbereitungsklasse in einem ergebnisoffenen Prozess für die geflüchteten Schüler*innen einen Erfahrungsraum geschaffen hat, in welchem diese sich mit ihrer neuen Lebenssituation auseinandersetzen konnten:

Beispielprojekt: Theaterarbeit mit geflüchteten Jugendlichen

Die Beteiligten des Projekts legten zunächst großen Wert darauf, einen vertrauensvollen Raum zur künstlerischen Auseinandersetzung mit den Jugendlichen zu gestalten und rückten die künstlerischen Arbeitsweisen in den Fokus des gemeinsamen Prozesses. Die Künstler*innen versuchten, den Themen, die die Jugendlichen persönlich wichtig fanden, und ihren Beobachtungen in Hamburg und speziell in Wilhelmsburg eine Form zu geben. So wollten sie trotz sprachlicher Barrieren gemeinsam möglichst früh ins inhaltliche Arbeiten kommen und über das Tun eine Verständigung herstellen.

Für diesen ergebnisoffenen Prozess entwickelten sie verschiedene künstlerische Strategien: Spiegel- und Synchronübungen dienten dem gegenseitigen Kennenlernen, der Entwicklung eines Gruppengefühls und vermittelten den Jugendlichen Sicherheit. Durch das Teilen von Gedichten, Liedern und Geschichten in der Muttersprache konnten die Schüler*innen einen inneren Bezug zu ihren Herkunftsländern herstellen und sich durch das Vortragen biografischer Texte an persönlichen Orten gegenseitig öffnen und Vertrauen gewinnen. An diesen persönlichen Orten entstand – in einem sehr offenen Prozess – das Material für das Stück in Form von kurzen Filmen, Tonaufnahmen und szenischen Sequenzen.

Schüler*innen bei einer Spiegel-Übung am S-Bahnhof.

Der künstlerische Prozess mündete in der gemeinsamen Entwicklung einer Szenencollage.
Die Gruppe war geprägt von einzelnen Schüler*innen, die große Angst vor Öffentlichkeit hatten. Die als Theaterraum umfunktionierte Gymnastikhalle wurde für die Jugendlichen über die Zeit zu einem geschützten Raum. Deshalb entschied sich das Theaterteam, die Ergebnisse aus dem Projekt dort zu präsentieren. Sie wählten ein Werkstattformat, in dem die Jugendlichen ihr Stück einer Parallelklasse präsentierten.
Bis dahin war es ein langer Prozess, in dem immer wieder einige aussteigen und auf keinen Fall präsentieren wollten. Das sehr private Format ermöglichte es aber am Ende doch allen mitzumachen, denn die Präsentation im Rahmen des Werkstattformats bot den Schüler*innen einen Schutzraum, in dem sie sich öffnen und anderen zeigen konnten.

Weitere Einblicke in dieses Projekt und Biografisches Arbeiten als künstlerische Strategie finden Sie hier:

Kunst als sinnlich-körperlicher, reflexiver und produktiver Prozess

Künstlerische Arbeit mit Schüler*innen beinhaltet das Schaffen, Anbieten und Begleiten von Erfahrungen und sinnlichen Erlebnissen. Die Kunst- und Kulturschaffenden im Kunstlabore-Programm legten großen Wert darauf, den Schüler*innen die Erfahrung eines Dreiklangs aus Wahrnehmen, Verstehen und Gestalten zu ermöglichen. Neben der sinnlich-körperlichen Wahrnehmung (Rezeption), geht es dabei um das Verstehen beziehungsweise die kognitive Auseinandersetzung mit den Inhalten und Themen (Reflexion). Rezeption und Reflexion werden ergänzt durch die Produktion eigener Kunst beziehungsweise das Mitwirken im gemeinschaftlichen Schaffensprozess. Diese drei Phasen fließen im künstlerischen Prozess meist untrennbar ineinander, es ist jedoch wichtig, alle Phasen mitzudenken und in die Arbeit einzubeziehen.

Ein Beispiel dafür, wie sich der Dreiklang aus Rezeption, Reflexion und Produktion in einem schulischen Projekt einbinden lässt, liefert das Kunstlabor Theater:

Beispielprojekt: Fächerübergreifendes Stationentheater

Im Rahmen eines Theaterprojekts mit dem Hamburger Thalia Theater arbeiteten Lehrer*innen und Schüler*innen einer Oberstufe fächerübergreifend zu den Themen „Heimat“ und „Fremde“. Den Beteiligten im künstlerischen Prozess war dabei wichtig, den Schüler*innen ein erweitertes Verständnis von Theater zu vermitteln. Viele Schüler*innen sind heutzutage in ihrem Verständnis von Theater eher konservativ geprägt. Sie wünschen sich klare Rollen und eine spannende Textvorlage, die sie dann auf der Bühne umsetzen können.

Mir war bei diesem Projekt wichtig, modernes Theater in die Schule zu bringen, alle Schüler in die Theaterarbeit mit einzubeziehen und ihre Ideen zu nutzen. Ich wollte nicht wie im letzten Schuljahr ein Stück mit Zweitbesetzung spielen, denn da gab es Phasen, in denen einige Schüler gar nichts zu tun hatten. Die Form der Szenencollage im postdramatischen Theater bot mir die Möglichkeit, alle zu involvieren.
Lisa Mittenzwei, Theaterlehrerin

3. Qualifikation

Welche Qualifikationen sollten anleitende Personen in künstlerischen Prozessen mitbringen?

Ein weiterer personenspezifischer Aspekt, der bei der Suche nach geeigneten Kunst- und Kulturschaffenden für die künstlerische Arbeit in Schulen eine Rolle spielt, ist die Qualifikation dieser Personen.

Es ist nicht immer einfach, Künstler*innen zu finden, die ein geeignetes künstlerisches Profil besitzen und zugleich über Erfahrungen im pädagogischen Bereich verfügen. Neben der Haltung und dem Kunstverständnis ist die künstlerische Qualifikation eine wichtige Grundbedingung für qualitätsvolle künstlerische Arbeit in Schulen. Die Durchsicht von Künstler*innen-Portfolios gibt Einblicke in die künstlerische Arbeitsweise, Ausstellungen, Stipendien oder Auszeichnungen der potenziellen Kooperationspartner*innen.

Die künstlerische Arbeit an Schulen ist jedoch nicht immer direkt an Künstler*innen gebunden: Auch Kunstvermittler*innen, Kunstpädagog*innen oder Kunst- oder Fachlehrer*innen widmen sich künstlerischen Prozessen in Schulen. Deren Qualität ist bedingt durch künstlerische Expertise, die nicht notwendigerweise in einem Kunsthochschulstudium erworben sein muss. Die Aneignung kann auch autodidaktisch erfolgt sein.
Qualität entsteht hierbei vielmehr durch Expertise und Authentizität im eigenen künstlerischen Tun.

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Downloadmaterialien und hilfreiche Tools

Sie wollen mehr über qualitätsvolle, künstlerische Arbeit in Schulen, ihre Wirkweisen und Voraussetzungen erfahren?

Ausgewählte künstlerische Strategien, die sich in der Arbeit in Schulen bewährt haben, stellen wir hier  oder in unserem Ratgeber unter „Künstlerische Strategien” näher vor.

Ebenfalls wichtig ist im Kontext Schule neben den künstlerischen Strategien auch das Beherrschen grundlegender pädagogischer Herangehensweisen, auf die hier im Abschnitt „Gestaltung des Arbeitsprozesses” eingegangen wird.

Wie finde ich als Lehrer*in geeignete Partner*innen aus den verschiedenen Kunstsparten?

 

 

Empfehlungen können bei der Auswahl geeigneter Kooperationspartner*innen helfen und die Suche unterstützen.

Dabei sollte miteinbezogen werden, vor welchem Hintergrund die Empfehlung abgegeben wird: Der Meinung derer, die bereits über Kooperationserfahrung mit den Kunst- und Kulturschaffenden in Schulen verfügen, sollte hier besondere Bedeutung beigemessen werden.

Nicht immer verfügen Schulen über ein Netzwerk, das Empfehlungen abgeben kann. Für diesen Fall existieren bundesweit verschiedene Plattformen, die zum einen bei Kooperationsvorhaben zwischen Schulen und Kunst- und Kulturschaffenden beraten und teilweise auch Künstler*innen und Kulturvermittler*innen mit Profilen und Projektbeispielen auflisten:

Hilfreich zur Einschätzung der Eignung von Kunst- und Kulturschaffenden für die Arbeit in Schulen kann dieses im Kunstlabor Bildende Kunst entwickelte Tool sein (siehe rechts), das sich auch für andere künstlerische Sparten adaptieren lässt.

Mithilfe der Zielscheibe lässt sich einschätzen, welche Bedingungen von den ausgewählten Personen „voll und ganz“ erfüllt werden und welche nur „teilweise“ oder „überhaupt nicht“.

Interessent*innen sollten die meisten Bedingungen voll und ganz erfüllen und keine Bedingungen gar nicht.

Weiter geht es mit dem zweiten der fünf Qualitätsbereiche ...

Warum die Verständigung zwischen Kunst- und Kulturschaffenden und Lehrer*innen so bedeutsam für das Gelingen künstlerischer Projekte an Schulen ist, erfahren Sie hier …

Hier gelangen Sie zurück zur Übersicht über die fünf Qualitätsbereiche.


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Video: Magdalena von Rudy

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